Autor: Benedict Schubert

25. Oktober

Ihr sollt Brot die Fülle haben und sollt sicher
in eurem Lande wohnen.
3. Mose 26,5

Gerne hätte ich die Frage vertieft nach dem Unterschied zwischen einer Verheissung und einer wohlfeilen Vertröstung. Der Ewige gibt das Versprechen von Frieden und Wohlstand mitten in der Wüste. Wenn ich mich darauf als Verheissung verlasse, gibt es mir Kraft zum Weitergehen. Doch was, wenn ich zweifle, es als billigen Trost vernehme, womöglich als «Opium fürs Volk»?
Doch im Nahen Osten wird mit grösster Brutalität Krieg geführt, während ich diese Betrachtung schreibe; er wird wohl immer noch toben, wenn Sie das lesen. Und ich frage:
Wer sind die, die sich heute hier und vor allem dort an Gottes Verheissungen erinnern und daraus kreativ Wege zum Frieden suchen und finden? Warum erhalten diejenigen, die versöhnlich handeln und leben, so wenig Aufmerksamkeit? Weshalb wird Widerspruch gegen die Mächtigen in Israel als Antisemitismus diskreditiert, anstatt ihn in der biblischen Linie der Propheten zu sehen? Weshalb wird das palästinensische Volk von allen Mächten ringsum immer nur für eigene Zwecke instrumentalisiert? Wer sieht und tröstet die Frauen und Kinder in Gaza? Wie lassen sich Hass und Misstrauen überwinden, anstatt ihnen immer wieder neu Nahrung zu geben, wie das seit Jahrzehnten geschieht?
Gott des Friedens und der Gerechtigkeit, erbarme dich!

Von: Benedict Schubert

25. September

Siehe: Der die Berge gemacht und den Wind geschaffen hat, der dem Menschen sagt, was er im Sinne hat – er heisst «HERR, Gott Zebaoth». Amos 4,13

Überrascht haben mich nicht die Hinweise auf Gottes Grösse, seine unbegrenzten Möglichkeiten, zu erschaffen, was ist, es zu bewegen und zu lenken. Auch der Namenszusatz «Zebaoth» gehört zum Bekannten und Vertrauten aus der Bibel und zu einigen Liedern, mit denen ich aufgewachsen bin: «Gott Zebaoth – Gott der himmlischen Heere». Beispiele aus der Kunstgeschichte bezeugen, wie Menschen sich Gott mit seinem himmlischen Hofstaat vorgestellt haben; erfreulicherweise sind die Heerscharen eher mit Harfen und Trompeten ausgerüstet als mit Schwertern und Hellebarden.
Überraschend bleibt jedoch die Zusage, dass Gott uns Menschen mitteilt, was er im Sinne hat. Wir sind nicht einem Schicksal ausgeliefert, dessen Sprünge und Haken wir unmöglich deuten und verstehen können. Gott nimmt uns als Gegenüber ernst. Wie eine Mutter ihrem kleinen Kind gegenüber nicht einfach macht, was sie macht, sondern beschreibt und erklärt, was sie tut, so auch Gott.
Meist übrigens nicht direkt durch eine himmlische Stimme, sondern vermittelt durch ein Bibelwort (eine Losung!), die Bemerkung einer Freundin, die Frage eines Nachbarn, eine Zeile aus einem Lied.

Von: Benedict Schubert

24. September

Hilf du uns, Gott, unser Helfer, um deines Namens
Ehre willen! Errette uns und vergib uns unsere Sünden um deines Namens willen!
Psalm 79,9

Viele fassen das Wort «Sünde» nur noch mit spitzen Fingern und gerümpfter Nase an, wenn sie es nicht überhaupt tief in einer Schublade liegen lassen. Sie finden – leider nicht ohne Gründe –, es rieche zu säuerlich nach kleingeistiger Moral.
Keine Frage: Sünde kann nicht ohne erklärende Sätze verwendet werden. Doch solche Sätze müssen wir suchen und finden, damit dieser wesentliche Aspekt nicht verlorengeht, der mir auch im heutigen Psalmvers entgegenkommt: Diejenigen, die Sünde bekennen, übernehmen Verantwortung. Sie anerkennen, dass sie sich nicht alles erlauben können und dass sie nicht einfach Opfer sind. Beides scheint mir heute allzu weit verbreitet. Vor zwanzig Jahren gehörte es für Verantwortliche in Politik und Wirtschaft noch selbstverständlich zum guten Ton, nach einem Fehler ein Amt abzugeben. Heute wird abgewiegelt, hemmungslos gelogen, weitergemacht. Und viele sehen sich gerne als Opfer. Ich stelle zum Beispiel mit Befremden fest, dass es ältere weisse Männer wie mich gibt, die darüber jammern, sie seien Opfer der Gleichberechtigung, und übersehen, mit wie vielen Vorrechten sie lebten und leben. Ewiger, vergib! Nüchtern ehrliches Sündenbewusstsein erleichtert das Leben für mich und mein Umfeld.

Von: Benedict Schubert

25. August

Wenn du auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hörst: Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld. 5. Mose 28,2–3

Wird hier das Fundament gelegt für das «Wohlstands-Evangelium»? Finden in diesem Vers jene braungebrannten und wortgewandten TV-Predigerinnen und -Evangelisten eine biblische Grundlage für ihre Verkündigung, die verspricht, Gott werde mit irdischen Gütern jene segnen, die so an ihn glauben, wie diese dubiosen Gestalten es vormachen? Ist das «Wenn», mit dem die Losung einsetzt, also als Bedingung zu verstehen, die aus dem Glauben einen «Deal» macht, eine Geschäftsbeziehung?
In unserer Welt, wo zunehmend nur noch danach beurteilt wird, ob Aufwand und Ertrag stimmen, finden leider derartige Stimmen Gehör. Ich aber höre aus unserem Vers die Einladung in eine Vertrauensbeziehung. In dem Mass, wie ich mich auf Gott einlasse, weil ich mich auf Gott verlasse, wird mein Leben gut. Es gewinnt Tiefe. Ich bekomme eine Perspektive. Ich verliere weder Hoffnung noch Mut, wenn ich Erfahrungen mache, die mich schmerzen, die keinen Sinn ergeben. Für das, was ich bin und tue, finde ich nicht mehr nur schlechte Worte; es steht nicht mehr unter einer «malédiction». Ich bin im Zusammenleben mit meinen Nächsten (in der Stadt) und in meiner Arbeit (auf dem Land) gesegnet; gut ist, was andere und ich selbst darüber sagen; es ist eine «bénédiction», ein Segen.

Von: Benedict Schubert

25. Juli

Gott, wir haben mit unsern Ohren gehört, unsre Väter
haben’s uns erzählt, was du getan hast zu ihren Zeiten,
vor alters.
Psalm 44,2

Kürzlich sass ich mit meiner Frau im Zug; fasziniert und
dankbar beobachteten wir eine junge Familie im Viererabteil
nebenan: zwei Kinder, eine Frau, ein Mann. Das wäre an
sich nicht auffällig, sondern entspräche dem Bild, das lange
von der Schweizer «Normalfamilie» gezeichnet wurde. Es
faszinierte uns, dass und wie diese beiden Erwachsenen mit
den Kindern im Gespräch waren und ihnen Geschichten
erzählten. Wir waren glücklich darüber, dass die Kinder nicht
mit digitalen Konserven abgespeist wurden und dass die
Eltern ihnen ihre Aufmerksamkeit widmeten und nicht ihren
Smartphones.
Unser Psalmwort kann seine Herkunft aus der patriarchalen
Tradition nicht leugnen. Die Forschung kann belegen,
welch entscheidende Rolle Mütter und Grossmütter bei der
Weitergabe des Glaubens spielen. Erzählend säen sie den
Samen, der hoffentlich die Frucht des Vertrauens wachsen
lässt, die dem Leben Boden und Ziel gibt.
Die «Krise der Kirchen», die wir feststellen und mit der wir
umgehen müssen, ist verbunden mit einer «Krise des Erzählens
». Dankbar bin ich für alle, die Worte suchen und finden,
um das zur Sprache zu bringen, was sie als Gottes Handeln in
ihrem Leben, in der Welt und ihrer Geschichte wahrnehmen.

Von: Benedict Schubert

24. Juli

Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien,
schweige nicht zu meinen Tränen.
Psalm 39,13

Die klagende Stimme erlebt Gottes Schweigen als Zumutung.
Sie erinnert mich an eine angolanische Christin, die
damals in den sehr schweren Zeiten des Bürgerkriegs einmal
sagte: «Ich glaube schon, dass Gott hört, aber ich glaube, er
hört nur mit einem Ohr hin.»
Als Seelsorger hörte ich ähnliche Klagen von denen, die mir
gegenübersassen. Auch ich selbst erinnere mich an Zeiten,
in denen ich es herausfordernd fand, dass Gott in so offensichtlich
anderen Rhythmen antwortet und handelt, als ich
es gerne gehabt hätte.
Doch nun stiess ich vor Kurzem auf einen Text, der einlädt,
das Schweigen Gottes viel positiver zu deuten. Von
Daniel Bourguet, einem französischen Pfarrer und Einsiedler,
erschien nun auch auf Deutsch die kleine Schrift «Die Scheu
Gottes». Bourguet erkennt in Gottes Schweigen ein Zeichen
der Liebe, die sich nicht aufdrängt, sondern sich eben scheu,
unaufdringlich zurückhält.
Gott schweigt manchmal zu Tränen, nicht weil sie ihn nicht
berühren. Gott lässt uns zuerst ausweinen. Die Tränen sollen
fliessen. Gott textet uns nicht gleich zu, sondern hält mit uns
den Schmerz aus. Dann wischt Gott die Tränen ab, liebevoll,
zart, tröstend.

Von: Benedict Schubert

25. Juni

Jene, die fern sind, werden kommen und
am Tempel des HERRN bauen.
Sacharja 6,15

Wir bleiben nicht unter uns. Unsere Gemeinschaft, unsere
Kirche, das Haus Gottes wird nicht mehr bloss von denen
gebaut, die so sind wie wir, die ähnlich aussehen und Gott
und die Welt ähnlich sehen wie wir.
Der Prophet Sacharja war sicher, dass Gott schon an alle
Menschen dachte, als er Abraham und Sara versprach, aus
ihnen ein grosses Volk zu machen. Israels Erwählung war kein
exklusives Recht für das kleine Volk, sondern sollte schliesslich
der ganzen Welt die Erfahrung von Gnade zugänglich
machen. Doch schon Sacharja konnte nicht all diejenigen
überzeugen, die meinten, Heil liege in der Abgrenzung, in
der ängstlichen Verteidigung des Eigenen und Vertrauten.
Die Fernen sind uns fremd. Sie leben unter anderen Bedingungen,
deshalb auch mit einer anderen Perspektive, mit
anderen Vorstellungen als die Nahen. Sie halten Dinge für
normal und richtig, die uns irritieren oder Angst machen.
Es sei denn, wir erkennen, was für einen Reichtum sie mit
sich bringen, wie gesund es ist, Dinge anders zu sehen, als
wir es gewohnt sind.
Das gilt auch für unsere Kirchen: Es ist ermutigend, wenn
wir Kirchen in der weiten Welt wahrnehmen und uns von
ihnen inspirieren lassen. Von ihnen, die ganz anders – und
meist mit viel weniger Mitteln – leben als wir.

Von: Benedict Schubert

25. Mai

Du sollst dein Herz nicht verhärten und deine Hand
nicht zuhalten gegenüber deinem armen Bruder.
5.Mose 15,7

Ich gehöre zu denen, die mit dem Brauch des Tischgebets
aufgewachsen sind. Zum Abschluss einer Mahlzeit gehörten
die Worte: «Danket dem Herrn, denn er ist freundlich
und seine Güte währet ewiglich.» Wir sollten begreifen, das,
was wir hatten, nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten,
sondern als Geschenk. Damit lernten wir auch, dass ein
Aspekt des Glaubens an den Ewigen im Vertrauen besteht,
dass Gott mir all das zukommen lässt, was ich brauche. In
ein biblisch verankertes Glaubensbekenntnis gehört deshalb
eigentlich der Satz: «Ich komme nicht zu kurz.»
Das befreit zur Grosszügigkeit – möglicherweise aus der
Ahnung, dass Gott mich dazu benutzen könnte, andere
nicht zu kurz kommen zu lassen.
Die Bibel ist zurückhaltend, wenn es darum geht, die Frage
zu beantworten, weshalb es Arme und Reiche, Starke und
Schwache, Ohnmächtige und Mächtige gibt. Gleichzeitig
macht sie klar: Das ist weder das, was Gott vorgesehen
hat, noch das, was Gottes Willen entspricht. Das heutige
Losungswort gehört in diesen grossen Zusammenhang. Es
spricht von dem, was wir je als Einzelne tun können: teilen,
was uns gegeben ist, im Vertrauen, dass wir nicht zu kurz
kommen, und in der Hoffnung, dass am Ende niemand mehr
zu kurz kommt.

Von: Benedict Schubert

24. Mai

Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder. 1.Könige 8,39

Glücklicherweise erlebte ich selten Konflikte, die mir Schlaf,
Nerven und Kraft raubten. Einmal jedoch geriet ich in eine
Auseinandersetzung, in der ich auf die Hilfe einer Supervisorin
angewiesen war. Sehr gut erinnere ich mich an eine Sitzung
bei ihr. Mein Gegenüber im Konflikt hatte etwas getan, wovon
ich fand, das sei absolut unmöglich und unzulässig. Ratlos
sagte ich zur Supervisorin: «Aber das kann man doch nicht
tun!» Worauf sie lakonisch zurückgab: «Doch, er kann das.»
Das ist mir eingefahren, und ich habe diese knappe Feststellung
hin und wieder zitiert, wenn jemand über ein Gegenüber
klagte und meinte, man könne doch dies oder jenes
nicht tun, sagen, finden: «Doch, er, sie kann das.»
Menschen sind uns manchmal ein Rätsel. Sie kommen auf
Ideen, auf die ich nie käme. Sie vertreten Meinungen, die
nicht vereinbar sind mit dem, was ich für gesunden Menschenverstand
halte. Sie lachen über Dinge, die ich nicht
komisch finde, aber finden nicht lustig, was mich amüsiert.
Manchmal passiert mir das auch mit mir selbst, und ich frage
mich, was mich zu diesem oder jenem veranlasst hat.
Es ist gut, uns von Salomo vorsagen zu lassen, dass wir Gott
allein das Urteil zugestehen, über das Herz eines Menschen
zu urteilen. Nur Gott allein weiss, was uns zuinnerst bewegt,
belastet, begeistert, antreibt. Und er schaut gewiss gnädiger
darauf als wir.

Von: Benedict Schubert

25. April

Die Israeliten sprachen zu Samuel: Lass nicht ab,
für uns zu schreien zu dem Herrn, unserm Gott,
dass er uns helfe.
1. Samuel 7,8

Wann haben Sie das letzte Mal jemanden gebeten, sie oder er möchte doch bitte für Sie beten? (Ich hoffe nicht, dass jemand für sie hätte zu Gott schreien müssen!)
Wir lernen, es sei erstrebenswert, möglichst autonom zu sein. Freiheit heisst für uns: «Ich kann tun und lassen, was ich will.» Sogar die klassische Einschränkung, dass die Freiheit meiner Nächsten meiner Freiheit eine Grenze setze, wird inzwischen von manchen in Frage gestellt.
Und so ist der Verlust der Unabhängigkeit für viele Menschen in unserem Land etwas vom Schlimmsten, was sie sich vorstellen können. Entsprechend schwierig wird es, wenn sie –
wie viele alte Menschen es erleben – nicht mehr die Kraft haben, ein unabhängiges Leben zu führen, sondern angewiesen sind auf die Unterstützung und Betreuung durch andere.
Wir Menschen sind von Anfang an auf Gemeinschaft, auf gegenseitige Abhängigkeit angelegt. Wir sind aufeinander angewiesen. Wie erbärmlich wäre mein Leben, wenn ich es allein und aus eigener Kraft leben müsste. Wie gut, dass ich Verwandte, Nachbarinnen, Freunde, Kollegen habe, denen ich nicht egal bin und die umgekehrt mir nicht gleichgültig sind. Und was für ein Privileg, dass wir füreinander beten können.

Von: Benedict Schubert