Autor: Barbara Heyse-Schaefer

27. September

Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das,
was ich schaffe.
Jesaja 65,18

Wenn ich aufwache, gehe ich gerne – oft noch im Pyjama –
in den Garten. Die Begegnungen in und mit der Natur machen mich richtig wach und glücklich. Da gibt es so viel zu bestaunen: zunächst die Luft und das Licht. Ich bemerke eine Blüte, die sich heute früh erst geöffnet hat. Ich schaue nach der Pflanze, die ich vor kurzem eingesetzt habe, und freue mich, dass sie anwächst. Schnell hole ich die Giesskanne und bewässere sie, denn es soll heute heiss werden. Ich pflücke ein paar späte Himbeeren und freue mich über ihre köstliche Süsse. Ich drehe mich nochmals um und staune über das Grün, die Blätter, die Gänseblümchen auf der Wiese und sauge den Morgenduft durch meine Nase ein. Ein neuer Tag kann beginnen!
Nein, Gottes Schöpfung hat mit dem sechsten Schöpfungstag nicht aufgehört. Sie setzt sich täglich fort – wie am Anfang. Und wir sind Gottes Mitarbeiter:innen. Viel kräftiger und mächtiger, als wir denken. Allein meine Gedanken erschaffen täglich Neues. Jeder Tag ist eine Gelegenheit, mein Leben zu verändern!

Von: Barbara Heyse-Schaefer

26. September

Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern,
und dein Gesetz hab ich in meinem Herzen.
Psalm 40,9

Tun Sie gerne Gottes Willen? Vielleicht werden Sie antworten: Wenn ich immer wüsste, was Gottes Wille ist …
Manchmal weiss ich selbst nicht genau, was ich will, wenn mein Verstand und meine Gefühle im Widerspruch stehen. Herz über Kopf?! Nicht immer einfach!
Bisweilen sind formale Gesetze und wichtige Inhalte im Konflikt miteinander. Da kann auch eine österreichische Ministerin, ihrem Gewissen und diversen Gutachten folgend, gegen die Abmachungen mit dem Koalitionspartner für das EU-Renaturierungsgesetz stimmen und sich dadurch eine Amtsmissbrauchsklage durch den Koalitionspartner einhandeln. Die einen feiern die grüne Klimaministerin als Heldin, die andern fordern ihre Amtsenthebung wegen Verfassungsbruchs. Welcher «Wille», welches «Gebot» ist wichtiger, ist richtig?
Auch im Psalm 40 geht es um den Widerspruch von unterschiedlichem Verständnis von Gottes Willen. Da stehen einerseits diverse Opfervorschriften (Vers 7) und andererseits das «Gebot» zum öffentlichen Einstehen für Gerechtigkeit (Vers 10). Politische Äusserungen in sozialen Gewissensangelegenheiten, so verstehe ich es hier, sind Gott wichtiger als die Einhaltung von Kultvorschriften. Herz über Kopf! Gottes Wille in meinem Herzen.

Von: Barbara Heyse-Schaefer

27. Juli

Jesus spricht: Selig seid ihr Armen;
denn das Reich Gottes ist euer.
Lukas 6,20

Wir leben in einem Zustand der «Zuvielisation». Ich bin
nicht reich, aber ganz sicher auch nicht arm. Ich habe viele
Gegenstände, die ich nicht brauche.
Gleichzeitig müssen Milliarden Menschen starke Einschränkungen
ihres Lebens hinnehmen. Rund 700 Millionen
Menschen leiden sogar unter extremer Armut und Hunger.
Was fange ich mit dem Jesuswort an? Folgende Punkte will
ich für mich daraus ableiten:

  • Arme nicht verachten
  • Armut nicht idealisieren
  • Mich nicht von Armen abwenden, sondern ihnen auf
    Augenhöhe begegnen
  • Mich aktiv für die Veränderung der Verhältnisse einsetzen
  • Einfachheit üben
  • Dauerhaft oder zeitweise auf bestimmte Annehmlichkeiten
    verzichten
  • Mich über die vielen Dinge, Erfahrungen und Beziehungen
    bewusst freuen, die ich nicht mit Geld kaufen kann
  • Heute das Reich Gottes aufspüren

Von: Barbara Heyse-Schaefer

26. Juli

Siehe, wenn Gott zerbricht, so hilft kein Bauen; wenn
er jemand einschliesst, kann niemand aufmachen.

Hiob 12,14

Ich bin ein widerständiger Mensch. Ich traue mich zu widersprechen.
Ich nehme Dinge nicht einfach hin. Es ist mir mit
meiner Hartnäckigkeit gelungen, manches zu verändern.
Die Weisheit des Hiob ist das genaue Gegenteil allen Auflehnens.
Er rät, Dinge, die ich nicht ändern kann, zu akzeptieren,
und anzunehmen, was gerade ist.
Manche Dinge laufen eben anders, als ich sie mir vorstelle.
Es hat wenig Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.
Wer sich starrköpfig, kompromisslos und stur verhält,
mag das Recht oder zumindest gute Argumente auf seiner
oder ihrer Seite haben, aber diese Dickköpfigkeit belastet oft
Beziehungen und letztlich behindere ich mich dabei selbst.
Ich möchte lernen zu akzeptieren, dass ich etwas nicht
ändern kann, und darauf vertrauen, dass Gott einen Plan
hat, den ich aus meiner Perspektive (noch) nicht sehen kann.
Radikale Akzeptanz, wie es manchmal gelehrt wird, werde
ich wahrscheinlich nicht schaffen. Aber ich will meine Bereitschaft
erhöhen, unbeeinflussbare Ereignisse anzunehmen,
und lernen, eine offene Haltung gegenüber neuen Erfahrungen
und Möglichkeiten einzunehmen. Das spart viel Kraft
und ermöglicht mir, neue Wege zu beschreiten.

Von: Barbara Heyse-Schaefer

27. Mai

Ich bitte euch nun, liebe Brüder und Schwestern, bei
der Barmherzigkeit Gottes: Bringt euren Leib dar als
lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer – dies sei
euer vernünftiger Gottesdienst!
Römer 12,1

Niemand will heute gerne ein Opfer sein. Das Schimpfwort
«du Opfer» meint im Strassenjargon Personen, die sich
nicht ausreichend wehren können.
Aber auch das Verständnis für das theologische Konzept
des Opfers ist mir in den letzten Jahren verloren gegangen.
Im Englischen – abgeleitet vom Lateinischen – wird zwischen
sacrifice / offering und victim unterschieden.
Wenn ich «Opfer» hier durch «Hingabe» ersetze, dann
kann ich diesem Ratschlag des Paulus etwas abgewinnen.
Sehr beeindruckt hat mich ein ökumenischer Freund, der
seine todkranke Frau mit Hingabe pflegte. Er meinte, «die
tägliche Körperpflege meiner Frau ist für mich wie ein Gebet,
eine Hingabe an Gott.»
Dem Engagement und der Leidenschaft verwandt, ist die
Hingabe weniger eine Anstrengung um jeden Preis, sondern
mehr ein Mich-Zuwenden, Mich-Öffnen und Anbieten.
Das ist für mich eine spirituelle Übung, die den Körper
nicht nur als «protestantischen Dienstleib» (Elisabeth
Moltmann-Wendel) versteht, sondern mir hilft, eine positive
Beziehung zu meiner Geschöpflichkeit zu finden. Mein
Leib ein Tempel!
Das schliesst eine lustvolle Beziehung zu Gott ein.

Von: Barbara Heyse-Schaefer

26. Mai

HERR, du siehst es ja, denn du schaust das Elend
und den Jammer; es steht in deinen Händen.
Psalm 10,14

Vielleicht haben Sie das schon erlebt: Eine Nachbarin, ein
Kollege, ein Verwandter kann Sie nicht leiden. Was immer
Sie machen, er oder sie findet einen Fehler, unterstellt Ihnen
unrichtiges Handeln. Sie sind sich keiner bösen Absicht
bewusst. Aber was immer Sie tun, Sie fürchten sich schon
vor seiner oder ihrer Reaktion. Sie sind verunsichert. Schliesslich
passieren Ihnen tatsächlich Fehler …
Der Beter/die Beterin des 10. Psalms scheint so jemanden
zu kennen. Eine Person, die ihm oder ihr nachstellt, wie ein
Löwe auflauert und schlecht über ihn oder sie spricht.
Wie sich wehren? Wie sich rechtfertigen? Wem kann ich
davon erzählen? Wie komme ich aus dem Teufelskreis heraus,
der mich zur Revanche verführen will? Tausend Gedanken
in meinem Kopf!
Der Beter/die Beterin des Psalms verlässt sich auf Gott: Du
siehst es ja! Du siehst das ganze Schlamassel, diese unangenehme
Situation, in der ich mich befinde.
Welchen besseren Ort könnte es geben als deine Hände,
Gott? Hier ist all die Ungerechtigkeit, die ich erfahre, aufgeschrieben
und festgehalten. Ich kann sie dort lassen!

Von: Barbara Heyse-Schaefer

27. März

Der HERR steht dem Armen zur Rechten, dass er ihm helfe von denen, die ihn verurteilen. Psalm 109,31

Die palästinensische Theologin Viola Raheb meinte einmal, es wäre für uns Europäer:innen leicht, von Feindesliebe zu sprechen, da wir eigentlich keine Feinde hätten. Kenne ich die Situation, von der hier im Psalm 109 die Rede ist, eigentlich?

Denn die Beter:innen des Psalms haben sehr wohl Feinde, Menschen, die ihnen nachstellen und sie unschuldig vor Gericht zerren. Als Folge sind sie von Armut und Elend bedroht. «Mein Herz ist zerschlagen in mir. Ich fahre dahin wie ein Schatten, der schwindet.» (Verse 22b–23a)

Die Beter:innen wissen sich keinen anderen Rat, als mit allen Gefühlen gegenüber ihren Feinden vor Gott zu kommen und ihm zu klagen. Vers 26: «Steh mir bei, HERR, mein Gott! Hilf mir nach deiner Gnade.»

Heute, einen Tag vor Gründonnerstag, fällt mir der Vers 5 aus Psalm 23 ein: «Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.» Trotz Verfolgung und Erniedrigung fühlen sich die Psalmbeter:innen im Tempel sicher. Hier gibt es auch in Bedrängnis zu essen und zu trinken. Denn die Armen und Verfolgten finden Schutz und Asyl bei Gott.

Ich denke an die Flüchtlinge in unseren Pfarrgemeinden. Beim Abendmahl fühlen sie sich angenommen und den Einheimischen gleichgestellt. Ein Moment, der anders ist als ihre Alltagserfahrungen…

Von: Barbara Heyse-Schaefer

26. März

Der HERR macht im Meer einen Weg und in starken Wassern Bahn. Jesaja 43,16

Stiess man in früheren Zeiten an einen breiten Fluss oder ans Meer, war der Weg dort meist zu Ende – so auch für das Volk Israel am Roten Meer. Es konnte nur auf ein Wunder hoffen.

Vor ein paar Wochen bin ich im Zuge meiner Pensionierung umgezogen. Gerade noch mitten im Arbeitsleben stehend und von der Leitung einer grossen Konferenz kommend, sollte ich nun meinen Umzug organisieren. Ich war jedoch sehr, sehr erschöpft. Dann starb noch eine Freundin… Ich empfand mich wie vor einer unüberwindbaren Mauer oder einem breiten Gewässer stehend. Wie sollte ich das schaffen? Ein, zwei Tage war ich völlig verzweifelt. Es fühlte sich an wie ein beginnendes Burnout.

Doch dann – wie durch ein Wunder – wendete sich das Blatt. Ich begann darüber nachzudenken, wie und wo ich mir Hilfe holen könnte. Ich richtete ein Stossgebet gen Himmel und schrieb einen kurzen Satz auf einem Social-Media-Kanal. Kurz darauf riefen Freunde und Bekannte an und boten ihre Unterstützung an. Menschen, die mir im Traum nicht einge­fallen wären. Ich dachte, wow, nur keine Hilfe ausschlagen, jede einzelne ist ein grosses Geschenk!

Es waren anstrengende Tage, bis der Umzugswagen endlich vor der Tür stand. Doch am ersten Morgen im neuen Zuhause fühlte ich grosse Dankbarkeit. Der Durchzug durchs Rote Meer war geschafft! Alles fügt sich.

Von: Barbara Heyse-Schaefer

27. Januar

Gott sprach zu Salomo: Weil du weder um langes Leben bittest noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, siehe, so tue ich nach deinen Worten. 1. Könige 3,11–12

König Salomo ist gerade an die Macht gekommen. Er ist noch jung und unerfahren und hat ganz schön Respekt vor seiner neuen Aufgabe, als König ein ganzes Volk zu regieren. Da erscheint ihm Gott im Traum und gibt ihm einen Wunsch frei.
Wir kennen solche Situationen aus den Märchen, da ist es meist eine Fee, die drei Wünsche freigibt. Was ist die richtige Antwort in so einem Fall? König Midas wäre beinahe verhungert, weil auf seinen Wunsch hin alles zu Gold wird, was er berührt. Worum würde ich bitten?
Salomo wünscht sich ein hörendes Herz, damit er das Volk recht richte. Eine grosse und weise Bitte!
Wie komme ich zu so einem Herzen, offen und horchend? Wie kann es in mir so still werden, dass ich nicht meinen endlosen Gedanken nachhänge, sondern wirklich hinhöre?
Es wäre mir bis jetzt nicht im Traum eingefallen, doch ja, ich werde Gott darum bitten: um Stille und Ruhe, um die Kraft zum Zuhören und um die Annahme dessen, was ist.

Von: Barbara Heyse-Schaefer

26. Januar

Du tust mir kund den Weg zum Leben. Psalm 16,11

Ich schreibe diese Zeilen eine Woche nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels. Eine gespenstische Stille liegt über der Welt. Wann kommt der Vergeltungsschlag der Israeli? Hunderttausende sind auf der Flucht.
Wie viele andere habe ich morgens eine Scheu, die Nachrichten zu lesen. Die Angst vor dem Kommenden nimmt mir den Atem und lässt meinen Bauch flattern.
Gleichzeitig bereite ich mich auf eine interreligiöse Frauenkonferenz nächste Woche vor. Es soll um Gewaltprävention und um Dialog für den Frieden gehen. Wichtige Rednerinnen springen ab, sie fühlen sich in der aktuellen Situation nicht in der Lage zu diskutieren.
Ich versuche es mit täglichen Atemübungen. Und mit viel Spazierengehen. Die Natur, das Gehen tun mir gut.
«Lass uns Gehende bleiben. Wir sind nie ganz zu Hause auf dieser Welt», schreibt Dorothee Sölle. Auch wenn wir den Weg zum Leben, zum Frieden im Moment nicht sehen, wir dürfen nicht aufhören zu gehen. Und zu beten:
«So wandere mit uns, Gott,
und lehre uns das Gehen
und das Suchen
und das Finden.»
(Dorothee Sölle in: Du führst mich hinaus in Weite.)

Von: Barbara Heyse-Schaefer