Autor: Andreas Egli

31. März

Alle deine Geschöpfe sollen dich preisen, HERR,
alle, die zu dir gehören, sollen dir danken!
Psalm 145,10

Der Psalm ist ein kunstvoll gestaltetes ABC des Gotteslobs. Jeder Vers beginnt mit einem Buchstaben des hebräischen Alphabets. Der Losungsvers mit dem Buchstaben J gibt dem Thema «Danken» eine grosse Spannweite. Auf der einen Seite sind alle Geschöpfe dazu aufgerufen, Gott zu danken. Auch die Menschen sind nur Geschöpfe, sie gehören zu den Werken, die Gott gemacht hat. «Er hat uns gemacht und nicht wir selbst.» (Psalm 100,3) So gesehen besteht zwischen Gott und Mensch ein maximaler Abstand. Auf der anderen Seite steht im Satz ein Wort, das von einer gegenseitigen Zugehörigkeit spricht. Es wird oft mit «Güte» oder «Gnade» (Vers 8) übersetzt. Es spricht von einer Solidarität, die dem anderen beisteht, auch wenn man nicht dazu verpflichtet wäre. Getreu ist Gott in allem, was er tut (Vers 17). Und «deine Getreuen» sind die Menschen, die zu Gott halten. Eine ähnliche Gegenseitigkeit gehört zum Wort «segnen», das auf Hebräisch in beide Richtungen verwendet wird (aber oft anders übersetzt ist). Gott sagt, dass es für die Menschen Segen gibt, er gibt ihnen Lebenskraft und Schutz. Und die Menschen sagen, dass es von Gott Segen gibt, und danken ihm dafür. «Danken sollen dir, HERR, alle deine Werke, und deine Getreuen sollen dich segnen.»

Von: Andreas Egli

6. Februar

Der HERR sprach: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. 1. Mose 8,21

Wie kann Gott darauf reagieren, dass im Denken des Menschen schlechte Pläne entstehen? Der Text von der grossen Flut stellt zwei verschiedene Optionen dar. Am Anfang der Erzählung bereut Gott, dass er den Menschen geschaffen hat. Denn «alles, was in seinem Planen und Denken geformt wird, ist nur böse den ganzen Tag» (1. Mose 6,5). Gott beschliesst, den Menschen vom Erdboden «wegzuwischen». Allerdings nicht ganz – in der Arche überlebt Noah mit seiner Familie. Das Losungswort steht dann am Ende der Flut-Erzählung. Jetzt entscheidet sich Gott für die zweite Möglichkeit: Nie wieder! Zwar hat sich wenig daran geändert: «Was im Denken des Menschen geformt wird, ist böse von seiner Jugend an.»
Aber nun kommt Gott in einem Selbstgespräch zu einem ganz anderen Schluss: «Nicht noch einmal werde ich die Erde verfluchen wegen dem Menschen. Und nicht noch einmal werde ich alles Lebendige schlagen, wie ich es gemacht habe.» Gott entscheidet sich, die Verfehlungen des Menschen zu ertragen, und gibt dem Leben eine dauerhafte Zukunft. Er wird es nie wieder zulassen, dass falsche Pläne des Menschen zur vollständigen Vernichtung führen. So bekommt der Mensch die Chance, aus Fehlern zu lernen.

Von: Andreas Egli

5. Februar

Der Knecht Gottes sprach: Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Jesaja 50,6

Der Prophet hat die Berufung, zu den Menschen zu reden, sodass sie neue Kraft finden, wenn sie müde sind (Vers 4). Gestärkt werden soll die Hoffnung, dass Gott zurückkehrt nach Jerusalem, dass es für das Volk eine Zukunft gibt. Aber nicht alle Angesprochenen sind für die gute Botschaft empfänglich. Bei denen, die gar keine Hoffnung mehr haben, kann die Niedergeschlagenheit in offene Aggression umschlagen. Der Prophet bekommt diesen Widerstand zu spüren. Leute geben ihm Schläge auf den Rücken, sie wollen die Haare seines Barts ausreissen. Sie beschimpfen ihn und spucken ihm ins Gesicht. Er lässt sich vom Gegenwind nicht entmutigen, sondern bleibt standhaft bei seinem hoffnungsvollen Auftrag.
Was gibt ihm die Kraft dazu? Die eine Kraftquelle ist, dass er als «Knecht» gelernt hat, auf Gott, seinen Herrn, zu hören –
immer wieder, jeden Morgen neu. Die zweite Kraftquelle ist die Überzeugung, dass diejenigen, die gegen ihn sind, nicht das letzte Wort haben werden. Weil Gott dem Propheten beisteht, werden sie ihm sein Vertrauen, seine Würde, seine innere Stärke nicht wegnehmen.
Alle Menschen, die Gott mit Ehrfurcht begegnen, können dies vom Knecht Gottes lernen.

Von: Andreas Egli

5. November

Ich will das steinerne Herz wegnehmen aus
ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben,
damit sie in meinen Geboten wandeln und meine
Ordnungen halten und danach tun.
Hesekiel 11,19–20

Die Geschichte von Ezechiel gehört in die Zeit, als Jerusalem
von den Babyloniern erobert und zerstört wurde. Schon
zehn Jahre vorher war eine Gruppe von Juden nach Babylon
deportiert worden. Sie hatten einen brutalen Krieg hinter
sich, gewaltsam erzwungene Auswanderung, Gefangenschaft,
Verlust der Heimat. Neuere Forschung kommt zum
Schluss, das Ezechielbuch sei als «Trauma-Literatur» zu verstehen.
Die Texte versuchen, die seelischen Verwundungen
zu bewältigen, von denen ein ganzes Volk betroffen war.
Abschnitte wie das Losungswort drücken die Hoffnung aus,
dass es Heilung gibt im «Herz», im Zentrum von Denken
und Fühlen. Wo nach einem seelischen Trauma die Gedanken
von den Gefühlen abgeschnitten waren, soll es wieder
eine Verbindung geben (ein einiges Herz). Neue Lebensenergie
soll gefunden werden (neue Geistkraft). Wo das Denken
starr und schematisch war (ein Herz aus Stein), soll es wieder
lebendig, beweglich und zum Mitgefühl fähig werden (ein
Herz aus Fleisch). «Ich werde ihnen ein einiges Herz geben.
Und neue Geistkraft werde ich in ihre Mitte geben. Ich werde
das Herz aus Stein aus ihrem Fleisch entfernen. Und ich
werde ihnen ein Herz aus Fleisch geben.»

Von: Andreas Egli

4. November

Höret, alle Völker! Merk auf, Erde und alles,
was darinnen ist! Gott der HERR tritt gegen
euch als Zeuge auf.
Micha 1,2

Was ein Zeuge ist, sagt das lateinische Wort testis bzw. ter-stis:
Ein Dritter steht dabei, während sich zwei Parteien in einer
Auseinandersetzung befinden. Ohne Zeugen würde sich einfach
der Stärkere durchsetzen. Wenn ein Dritter zuschaut,
kann er später vor Gericht eine Aussage machen. So wird
der Schuldige zur Verantwortung gezogen, und der Schwächere
kommt zu seinem Recht. Der Losungsvers gehört zur
Überschrift des Michabuchs. Was in den Prophetenworten
dokumentiert ist, hat sich nicht in einem rechtsfreien Raum
abgespielt. Sondern Gott ist der Dritte, der alles beobachtet
hat und für Gerechtigkeit sorgt. Zur Zeit des Propheten
Micha wurde die Oberschicht in der Stadt Jerusalem reich
und wollte mehr Grundbesitz ansammeln. Die Landbevölkerung
in den umliegenden Dörfern geriet in Schulden und
musste ihren Boden verkaufen. Micha, der selbst aus einem
Dorf stammte, legte den Finger auf dieses soziale Unrecht. In
späteren Jahrhunderten ging es um politische Spannungen
in einem grösseren Massstab. Nun befand sich das kleine
Land Israel in der unterlegenen Position, es stand den Grossmächten
Assur und Babylon gegenüber. Aber auch da gab es
einen Zeugen. – In welchen heutigen Situationen braucht es
Dritte, die den Mut haben, hinzuschauen?

Von: Andreas Egli

5. September

Hilf deinem Volk und segne dein Erbe und weide
und trage sie ewiglich!
Psalm 28,9

Man hat den Psalm 23 im Ohr, mit dem ein Mensch sein Vertrauen ausdrücken kann: «Der HERR ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.» Fünf Psalmen später herrscht eine andere Stimmung. Der Psalm 28 hält Worte bereit für Menschen, die an Gott zweifeln. Kann es sein, dass Gott gar nichts hört? Kann es sein, dass Gott gar nichts sagt? Wird der Tod das letzte Wort haben? (Vers 1) Muss es dem Beter gleich gehen wie den ungerechten Menschen, die zwar friedliche Worte reden, aber in ihrem Innersten böse Pläne machen? (Vers 3) Im letzten Teil des Psalms geschieht ein Umschwung. Der Betende dankt dafür, dass Gott sein Rufen gehört hat. Nun stimmt das Gebet ins Vertrauen ein, das im Bild vom Hirten steckt. Das Volk Israel hat in seiner Geschichte erfahren, dass die Hoffnung berechtigt ist. Gott ist wie ein fürsorglicher Hirte. Das Volk ist seine Herde, mit der er auf dem Weg ist. «Hilf deinem Volk zur Freiheit. Segne die, welche dir als dauerhaftes Eigentum gehören. Hüte und trage sie wie ein guter Hirte, für alle Zeit.»
Im Lied «Grosser Gott, wir loben dich» ist der Losungsvers nachgedichtet. «Sieh dein Volk in Gnaden an; hilf uns, segne, Herr, dein Erbe; leit es auf der rechten Bahn, dass der Feind es nicht verderbe. Führe es durch diese Zeit, nimm es auf in Ewigkeit.» (Lied 247,9)

Von: Andreas Egli

4. September

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen? Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Matthäus 6,31

Das Englische hat zwei verschiedene Wörter: to worry (sich Sorgen machen) und to care (für jemanden sorgen). Auf Deutsch wie auch in den biblischen Sprachen gibt es nur das einzige Wort «sorgen», aber mit verschiedenen Bedeutungen. Wo hat man gute Gründe, in einer gefährlichen Situation ängstlich und vorsichtig zu sein? Wo wären die besorgten Gedanken, die sich ständig im Kreis drehen, eigentlich nicht nötig? Wo ist es eine wichtige Aufgabe, sich mit Vorsorge und Fürsorge um Mitmenschen zu kümmern, die darauf angewiesen sind? Die Jesusworte in der Bergpredigt geben Hinweise, wie man zwischen den verschiedenen Arten von «sorgen» unterscheiden könnte. An erster Stelle soll das Vertrauen auf Gott stehen: «Euer himmlischer Vater weiss, dass ihr alle diese Dinge nötig habt.» (Vers 32) Was den unnötigen Sorgen eine Grenze setzen kann, ist schlicht die Nacht: «Macht euch keine Sorgen für den morgigen Tag.» Jeder Tag hat seine eigenen Sorgen, das ist genug. (Vers 34)
Der Liederdichter Niklaus von Zinzendorf regt mit zwei Wörtern zum Nachdenken an: sorgenfrei und sorgsam. «Gib mir deinen Geist, der so köstlich heisst, dass ich ohne Worte spreche, dass ich ohne Sturm zerbreche, dass ich sorgenfrei und doch sorgsam sei.» (Lied 815,3)

Von: Andreas Egli

5. Juli

Die ihr den HERRN fürchtet, hoffet auf den HERRN! Psalm 115,11

In der Mitte des Psalms erklingt dreimal die gleiche Aufforderung:
«Vertraut auf den HERRN!» Die Begründung dafür lautet jeweils:
«Ihre Hilfe und ihr Schutzschild ist er.» Zuerst richtet sich der Aufruf
an das Volk Israel (Vers 9). Im zweiten Durchgang wird eine kleinere
Gruppe angesprochen. Das «Haus Aarons» sind die Priester, die
ihren Dienst im Tempel tun (Vers10). Beim dritten Mal aber kommt
im Losungswort ein viel grösserer Kreis in den Blick: alle Menschen,
die «Ehrfurcht haben vor dem HERRN». Diese Wendung ist in der
hebräischen Bibel ein fest geprägter Ausdruck. Er bezeichnet
Menschen aus anderen Völkern, die sich dem Glauben an den Gott
der Bibel anschliessen. Auch sie bekommen die Zusage, dass Gott
ihnen Hilfe und Schutz gibt. Der Psalm tritt für einen Glauben ein,
der immer weitere Kreise zieht.
Zwar hat er eine sehr kritische Sicht auf die Götterbilder, die
bei anderen Völkern verehrt werden. Sie sind Gegenstände,
die von Handwerkern hergestellt wurden. In eine Beziehung
treten kann man mit ihnen nicht (Verse 4–8). Aber der Psalm
ist offen für die Menschen, die Gott suchen. Er zieht nicht eine
nationale Grenze zwischen Einheimischen und Fremden, er
denkt nicht im Schema «wir und die anderen». Sondern er
fordert alle dazu auf, sich zu fragen, worauf ihr Vertrauen
gegründet ist.

Von: Andreas Egli

4. Juli

Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt!
Den wird der HERR erretten zur bösen Zeit.
Psalm 41,2

Krankheit ist das Thema des Psalms, und er beginnt im
Losungsvers mit einer Seligpreisung: «Glücklich ist, wer
Einsicht findet beim Schwachen. Am bösen Tag wird ihn der
HERR davonkommen lassen.»Gratulieren muss man jedem,
der einen kranken Menschenwahrnimmt und bei ihm etwas
lernt: Gottsteht auf der Seite des Kranken und wird ihm helfen,
einen Ausweg zu finden. «Der HERR wird ihn unterstützen auf
dem Krankenbett. All seine Bettlägerigkeit hast du
verwandelt in seiner Krankheit.» (Vers 3) Ganz anders
sieht es bei den Mitmenschen aus, die manchmal wenig Verständnis
für einen Kranken haben. Den Psalmbeter schmerzt
es, wenn er von den Leuten entmutigende Äusserungen
hört wie: «Wann wird er sterben und wird sein Name vergehen?» (Vers 6)
Oder: «Wer liegt, wird nicht wieder aufstehen.» (Vers 9) Dennoch gelingt
es ihm, im Gebet wieder Hoffnung zu finden: «Und du, HERR, sei mir
gnädig und hilf mir, wieder aufzustehen.» (Vers 11) Auch im modernen
Gesundheitswesen stellt sich die Frage: Stehen die Patientinnen und
Patienten im Mittelpunkt? Wird zwischen gesunden und kranken Menschen
eine Solidarität gelebt?
Dafür setzt sich der «Tag der Kranken» ein, der in der Schweiz am ersten
Sonntag im März begangen wird. Im Jahr 2024 stand er unter dem Motto «Zuversicht stärken».

Von: Andreas Egli

5. Mai

Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Psalm 42,2

In biblischer Zeit lebten in Israel noch Hirsche. Der Psalm
stellt sich eine Hirschkuh vor, die Wasser sucht. Der Durst
treibt sie zu einem Bach. Aber das Bachbett ist nicht immer
mit Wasser gefüllt, zeitweise bleibt es ganz ausgetrocknet.
Beim Hirsch wird das Durstgefühl immer stärker. Er schreit
nach Wasser, wie Martin Luther übersetzte. Der Durst ist
eine Erfahrung, die wir Menschen mit den Tieren teilen. Die
trockene Kehle muss trinken können, sonst hält sie es nicht
lange aus. Was man gewöhnlich mit «Seele» wiedergibt,
heisst wörtlich «Kehle». Hier ist der Ort, wo der Mensch
seine Bedürftigkeit erlebt. Er ist darauf angewiesen, dass er
essen und trinken kann. Die Kehle ist aber auch der Ort,
wo wir unsere Lebendigkeit zum Ausdruck bringen, mit der
Stimme und der Sprache. Wir klagen und weinen, wir lachen
und danken. Der Psalm spricht die Erfahrung an, dass es
im Glauben manchmal eine Durststrecke gibt. Zu gewissen
Zeiten ist Gott für den Betenden weit weg. Aber der Psalm
zeigt einen Weg, mit der Durststrecke umzugehen. Er behält
Zeiten in Erinnerung, in denen sich die Seele darüber freute,
dass Gott nahe war. Der Mensch kann ein Selbstgespräch
mit der Seele führen und ihr sagen: «Warte auf Gott, denn
ich werde ihm noch einmal danken für seine Hilfe.» (Vers 6)

Von: Andreas Egli