Schlagwort: Felix Reich

31. August

Durch Christus Jesus haben wir Freimut und Zugang in aller Zuversicht durch den Glauben an ihn. Epheser 3,12

Zuversicht trotz allem ist das, was ich mir vom Glauben erhoffe. Eine getroste Hoffnung, die mir auf geheimnisvolle Weise immer wieder zur Erfahrung wird und mich an ein Lied denken lässt, das mich seit früher Kindheit begleitet: «Vom Aafang bis zum Änd» von Paul Burkhard.
«Nie mee fürcht ich mich, dänn ich han ja dich, Jesus Chrischtus Herr.»
Ich habe das Lied oft gesungen. An Spitalbetten und Gräbern, mit einem schreienden Kind auf dem Arm, das keinen Schlaf findet, manchmal auch in dunklen Grossstadtgassen. Natürlich fürchtete ich mich dennoch. Aber die schlichten Zeilen und die vertraute Melodie lockerten den Würgegriff der Angst.
Psalmen und Gebete, Bibelverse und lieb gewonnene Erzählungen, manchmal auch nur eine in der Stille der Kirche angezündete Kerze sind mir Türen, die mich in die Getrostheit des Glaubens hineinführen können. Manchmal vermag ich jedoch nur hindurchzuschauen. Freilich sehe ich auch in diesen Momenten durch den Türspalt jenes Licht, das sich «Zuversicht durch den Glauben» nennt: die Gewissheit, dass andere Menschen Worte für das Gebet finden, wenn mir nur noch das Schweigen bleibt, und jemand ein Licht anzündet, wenn sich mein Blick verdunkelt.

Von: Felix Reich

24. August

Jesus spricht: Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich. Johannes 10,14

Es ist ein komplexes Bild, das Jesus entfaltet. Er benötigt dafür zwei Anläufe, weil die Zuhörerinnen und Zuhörer zuerst «den Sinn seiner Rede nicht verstanden» (Johannes 10,6). Die Rede vom guten Hirten knüpft bei der alttestamentlichen Metapher an, mit der Gott selbst und herausragende Persönlichkeiten beschrieben werden. Jesus ergänzt sie, indem er sich auch als Tür bezeichnet, die nicht nur nach innen in die sicheren Stallmauern hineinführt, sondern auch den Weg nach draussen weist auf die nährende Weide.
Mit der Türmetapher weist Jesus darauf hin, dass nur ein adäquates Verständnis seiner Botschaft einen Zugang zur Gemeinschaft eröffnet. Erkenntnis ist auch der Schlüsselbegriff der Beziehung zwischen dem Hirten und seiner Herde: Er kennt sie, sie kennt ihn.
Freilich ist die Kenntnis der Person und der Botschaft Christi kein stabiler Zustand, sondern vollzieht sich vielmehr als ein dynamischer und vielstimmiger Prozess. Denn um die Erkenntnis, «wer Christus heute für uns eigentlich ist» (Dietrich Bonhoeffer), gilt es immer wieder neu zu ringen. Die Auseinandersetzung darf sich jedoch auf dem Boden des Vertrauens vollziehen, dass Christus als der gute Hirte uns erkannt hat und immer schon auf uns zugeht.

Von: Felix Reich

23. August

Jesus antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch. Johannes 5,17

Indem Jesus den Kranken am Teich von Betesda zum Aufstehen bewegt, riskiert er den Konflikt. Und ich gerate mit dem Bibeltext in Konflikt. Ich lese weiter: «Da suchten die Juden erst recht eine Gelegenheit, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat auflöste, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich selbst Gott gleichmachte» (Johannes 5,18). Ich denke an die grausame Wirkungsgeschichte solcher Zeilen. Die Fratze des Antisemitismus begegnet mir bis heute in Hasstiraden und getarnt in verschwörerischem Geschwurbel.
Jesus antwortet auf den Vorwurf, er habe am Sabbat geheilt und das Gesetz missachtet. Er beruft sich auf Gott und seine eigene Göttlichkeit. Und vor allem gewichtet er die Menschlichkeit, die Notwendigkeit, sich dem leidenden Menschen zuzuwenden, höher als das Gesetz.
Die Liste der Menschen, die geächtet wurden, weil sie sich auf höhere Ideale beriefen und sich im Dienst der Menschlichkeit über Bürokratie und Gesetz hinwegsetzten, ist lang. Oft gehörten sie zu jenen, die sich dem christlich verbrämten Antisemitismus widersetzten. Vielleicht legt der Text auch diese Spur: Jesus, und damit Gottes Kraft in ihm, will, dass den Menschen, die für die Nächstenliebe mit den Konventionen brechen, keine Steine in den Weg gelegt werden.
Von: Felix Reich

24. Juni

Jesus sprach zu Petrus: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir:
Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst,
wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine
Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten
und führen, wo du nicht hinwillst.
Johannes 21,18

Verantwortung für das eigene Leben übernehmen können,
eigenständige Entscheidungen fällen, für sich selbst sorgen
können, die eigene Persönlichkeit entfalten dürfen: Das ist
die grosse Freiheit. Sie ist kostbar. Und sie soll eben gerade
nicht das Privileg der Jungen, Fitten, Starken sein. Deshalb
ist es die Aufgabe der Gesellschaft, möglichst vielen Menschen
ein Leben in Eigenverantwortung zu ermöglichen,
unabhängig von ihrem sozialen Status oder körperlichen
Einschränkungen. Auf dass Menschen selbst bestimmen
können, welchen Weg sie gehen.
Ausgeliefertsein und Bedürftigkeit gehören zur menschlichen
Existenz: Sie beginnen mit der Geburt. Krankheit, Unfall
und Alter können Menschen in diesen Zustand zurückwerfen.
Das ist ungeheuer schmerzhaft. Doch selbst wer die
Autonomie verliert, behält seine Würde. Die Menschenwürde
erschöpft sich nicht in der Selbstbestimmung. Hilfe
annehmen, sich dem Unverfügbaren ausliefern, die eigene
Bedürftigkeit nicht verstecken ist Ausdruck der Stärke, die
in den Schwachen wohnt. Das Einüben einer Haltung, die
Selbstverantwortung und Demut verbindet, ist eine Lebensaufgabe.

Von: Felix Reich

23. Juni

Der HERR ist allen gütig und erbarmt sich
aller seiner Werke.
Psalm 145,9

Das Gute und Schöne zu erkennen, ist eine überwältigende
Erfahrung. Einzutauchen in die Schönheit der Schöpfung,
ist ein Geschenk: sich nicht satt sehen zu können an den
schroffen Felswänden und den im Sonnenlicht leuchtenden
Bergspitzen, oder nicht genug bekommen vom kopfüber
Hineinspringen in den im Abendlicht glitzernden See. Die
Natur wird zum Spiegelbild der Grösse und Güte Gottes.
Die «mächtigen Taten» (Psalm 145,12) zeigen sich oft auch in
der zwischenmenschlichen Begegnung. Ein Wort, das guttut,
ein Gespräch, das ermutigt, ein Zuspruch zur rechten Zeit,
eine Handlung, die hilft. In solchen Momenten potenzieren
sich die Güte und die Barmherzigkeit Gottes und es leuchtet
jene Verheissung, die im Zentrum der biblischen Botschaft
steht und an der sich das Handeln im Namen der guten
Nachricht zu messen hat: Gott «stützt alle, die fallen, und
richtet alle Gebeugten auf.» (Psalm 145,14)
Beides, die überwältigende Erfahrung der Schönheit der
Schöpfung und der Anspruch, die Güte Gottes in Wort und
Tat zu verkündigen, gehört zusammen. Das Fest, die Freude
und der Jubel über die Schönheit der Schöpfung geben die
Kraft, sich selbst in den Dienst der göttlichen Barmherzigkeit
zu stellen.

Von: Felix Reich

24. April

Sie wunderten sich über die Massen und sprachen:
Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.
Markus 7,37

Jesus nimmt den Taubstummen, der zu ihm gebracht wird, beiseite, «weg aus dem Gedränge» (Markus 7,33). Vielleicht liegt in dieser ersten Geste bereits eine Bedingung zur Heilung. Jesus löst den einzelnen Menschen aus der Menge, ermöglicht die persönliche Begegnung, nimmt sich Zeit.
Die tatsächliche Heilung vollzieht sich durch Berührung. Jesus legt seine Finger in die Ohren des Taubstummen, berührt dessen Zunge mit seinem Speichel. Doch die Kraftübertragung allein genügt nicht, Jesus blickt zum Himmel, bevor er sagt: «Tu dich auf!» (Markus 7,34) Das Wunder der Heilung ereignet sich in einem Dreieck: Zuwendung, Berühren und Berührtwerden, Hinwendung und Sich-Öffnen für Gott.
Die Zeuginnen und Zeugen der Heilung ignorieren den Befehl Jesu, das Gesehene für sich zu behalten. Ihre Verwunderung und ihr Wille, es zu erzählen, sind zu gross. Die frohe
Botschaft, die sie verbreiten, geht über das Wunder der Heilung eines Einzelnen hinaus. Denn die Tauben hören und die Sprachlosen reden zu machen, ist Auftrag und Hoffnung zugleich. So oft haben wir es nötig, die eigene Taubheit zu überwinden und auf unerhörte Stimmen zu hören. Und so vielen Sprachlosen fehlt Zuwendung in dieser Welt.

Von: Felix Reich

23. April

Jesus spricht zu Thomas: Reiche deinen Finger her
und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her
und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
Johannes 20,27

Thomas ist nicht dabei gewesen. Ihm geht es wie wohl den meisten Leserinnen und Lesern des Johannesevangeliums. Er kann nicht glauben, was hier erzählt wird und was die anderen Jüngerinnen und Jünger bezeugen: dass Jesus auferstanden sei. Sie hätten es mit eigenen Augen gesehen, er habe sie besucht, obwohl sie sich aus Angst eingeschlossen hätten.
Thomas fordert den ultimativen Beweis. In seinem Unglauben klingt er beinahe trotzig: «Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben.» (Johannes 20,25)
Für Thomas kehrt Jesus nochmals zu seinen Jüngerinnen und Jüngern zurück. Erneut überwindet er die Barrikaden des Zweifels und der Trauer, indem er in ihre Mitte tritt, «obwohl die Türen verschlossen waren» (Johannes 20,26). Während die Auferstehung das flüchtige Wunder ist, das nicht mit Händen zu greifen ist, formuliert der ungläubige Thomas ein Glaubensbekenntnis, nachdem er Christus erkannt hat: «Mein Herr und mein Gott» (Johannes 20,28). Jesus aufersteht nicht als Geistwesen, er bleibt gezeichnet von Folter und Gewalt. Wer glaubt, legt den Finger in die Wunde.

Von: Felix Reich

24. Februar

Ihr trinkt den Wein kübelweise und verwendet
die kostbarsten Parfüme; aber dass euer Land in
den Untergang treibt, lässt euch kalt.
Amos 6,6

Es ist eine kunstvoll komponierte Wutrede, zu der Prophet Amos anhebt. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Samaria frönen dem Genuss, ihr Luxus wird zum perversen Gottesdienst. Der Prophet geisselt das Luxusleben vor allem deshalb, weil es auf Gewalt gebaut ist und mit der prekären Lage im Land kontrastiert. Doch nicht nur moralisch haben die Menschen versagt, zur Ignoranz gesellt sich die Unfähigkeit, weil sie «sich zum Klang der Harfe versuchen und sich für David halten an den Instrumenten» (Amos 6,5).
Der Text ist beklemmend aktuell. Dass Wohlstand auch auf Ausbeutung von Menschen und dem Raubbau an den natürlichen Ressourcen basiert, ist keine neue Erkenntnis. Und auch das Gesetz der Trägheit bleibt wirksam: Wir verschliessen davor lieber die Augen und das Handeln und insbesondere der Verzicht fallen uns unfassbar schwer, selbst wenn wir hinsehen. Die Frage, ob die prophetische Wutrede, welche die Grenze zur Beschimpfung ritzt, tatsächlich weiterhilft, oder doch die kleinen Schritte der guten Taten und eine liebevolle, auf Verständigung ausgerichtete Sprache die Menschen zur Umkehr zu bewegen vermag, lässt die Bibel offen. Sie erzählt von beiden Strategien und ringt um eine Antwort. So wie wir.

Von: Felix Reich

23. Februar

Jesus stand auf und bedrohte den Wind und die Wogen des Wassers, und sie legten sich und es ward eine Stille. Er sprach aber zu den Jüngern: Wo ist euer Glaube? Lukas 8,24–25

Als Jesus schläft, zieht ein Sturm auf. Die Jünger kommen ohne ihn nicht zurecht und wecken ihn. Jesus bedroht Wind und Wogen, die Naturgewalten kuschen vor seiner Macht. Jesus, der später am Kreuz die Ohnmacht bis in den Foltertod durchleidet, zeigt sich hier als allmächtiger Gebieter über die Elemente. «Wer ist denn dieser?» (Lukas 8,25), fragen staunend und ängstlich die Jüngerinnen und Jünger. Es ist die Frage, die das Evangelium durchzieht: Jesus provoziert und heilt, leidet und tut Wunder, poltert und verzeiht, weist den Sturm in die Schranken und ist der Gewalt ausgeliefert. Der Tadel, wo ihr Glaube geblieben sei, irritiert nach dem, was geschehen ist. Offensichtlich ist es doch richtig gewesen, Jesus zu wecken, denn er bewahrt das Boot ja tatsächlich vor dem Untergang. Und haben die Jüngerinnen und Jünger nicht gerade ihren Glauben bewiesen, indem sie ihn zu Hilfe gerufen haben? Sie glauben daran, dass Jesus sie vor der Gefahr schützt. Und sie haben erkannt, dass es nicht in ihrer Hand liegt und sie gegen Sturm und Wellen nicht ankommen können. Aber vielleicht ist der Satz auch weniger Tadel als Irritation. Ein Aufruf, immer wieder neu eine Antwort zu suchen auf die Frage, wo der eigene Glaube, die Hoffnung, dass der Sturm sich irgendwann legt, eigentlich verankert ist.

Von: Felix Reich

29. Dezember

Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter
dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn
hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Matthäus 8,20

An Weihnachten finden Maria und Joseph keine Herberge.
Sie haben keine Bleibe auf ihrer Reise. Erst in einem Stall
findet das Paar Zuflucht, wo der Messias zur Welt kommt.
Kurze Zeit später ist die junge Familie auf der Flucht. Mit
Armut und Vertreibung beginnt das Leben Jesu.
Später will sich ein Schriftgelehrter dem Wanderprediger
anschliessen: «Meister, ich will dir folgen, wohin du auch
gehst.» (Matthäus 8,19) Jesus antwortet schroff: Ohne Preisgabe
der Sicherheit sei die Nachfolge nicht zu haben, nicht
einmal die Nacht bringe Ruhe und Schutz.
Keinen Ort zum Schlafen zu haben, nichts, um den Kopf
abzulegen, ist schrecklich: Der Schlaf ist unruhig und voller
Gefahren. Jesus erklärt eine prekäre Existenz zur Bedingung
der Nachfolge, der Hingabe an Gott und die Menschen.
Die Definition der Nachfolge klingt wie das spiegelverkehrte
Echo auf den Losungstext aus dem Alten Testament: «Der
Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für
die Jungen – deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und
mein Gott.» (Psalm 84,4) Alle sind in Sicherheit und haben
ein Dach über dem Kopf. Nur der menschgewordene Gott
bleibt ohne Bleibe und der Welt schutzlos ausgeliefert.

Von: Felix Reich