Schlagwort: Maria Moser

17. August

Der Grösste unter euch soll euer Diener sein.
Matthäus 23,11

Ein Diener, das ist einer, der Arbeiten für Höhergestellte
leistet. Arbeiten, die geringgeschätzt werden. Meist handelt
es sich um Versorgungs- und Hausarbeit, geleistet von Versklavten
und/oder Frauen. Arbeiten, die kein freier, wohlhabender
Mann tun würde. In biblischen Zeiten beschreibt
das Wortfeld diakonein zunächst Unterwerfungsverhältnisse.
Zunächst. Denn viele Stellen im Neuen Testament
sprechen davon, dass Grenzziehungen zwischen Oben und
Unten überwunden werden: Die Letzten werden die Ersten
sein, Niedrige erhöht und der Grösste wird zum Diener. Der
Neutestamentler Gerd Theissen spricht von Statusverzicht,
der zusammen mit der Nächstenliebe zentral ist für das
urchristliche Ethos. Es zielt auf Gleichheit und soziale Beziehungen,
die auf Gegenseitigkeit beruhen: «Unterschichtswerte
» wie Nächstenliebe oder Demut werden aristokratisiert,
und «Oberschichtswerte» wie Wohltätigkeit, die in der
Antike Königen und Beamten vorbehalten waren, werden
demokratisiert. So erhält Dienen eine ganz neue Bedeutung.
Jesus selbst sagt: «Ich aber bin unter euch wie ein Diener.»
(Lukas 22,27)
Das wünsche ich mir für alle Mitarbeitenden der Diakonie,
für alle, die Kinder betreuen, Menschen im Alter pflegen,
Menschen mit Behinderungen begleiten: dass die Grösse
ihres Dienstes erkannt und anerkannt wird.

Von: Maria Moser

17. Juni

Gott, der HERR, der Mächtige, redet und ruft der Welt
zu vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang.

Psalm 50,1


Gott hat es nicht leicht mit uns Menschen, denke ich mir,
wenn ich die heutige Losung lese. Er redet und ruft. Beständig.
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Bis
zur Verzweiflung beharrlich erscheint mir Gottes Wille, mit
der Welt, mit uns in Beziehung zu treten. El, der Allmächtige,
Elohim, der allein Anbetungswürdige, JHWH, der Ich-binder-
ich-bin – er redet und ruft.
Nein, ich spiele nicht auf die gerne im Munde geführte Rede
von Glaubensverlust und Gottlosigkeit unserer Zeit an. Ich
spiele an auf eine Analyse des bekannten Soziologen Hartmut
Rosa. Uns mangle es an der Fähigkeit, uns anrufen zu
lassen, meint er. So leben wir in einem Aggressionsverhältnis
zur Welt, fragen: Was habe ich davon? Was kriege ich? Was
beherrsche ich, was beherrsche ich nicht?
Gott bleibt beharrlich. Redet und ruft. Ruft uns in die Beziehung
mit ihm. Verspricht: Am Grunde deiner Existenz liegt
nicht ein kaltes, schweigsames Universum – sondern eine
Antwortbeziehung. Der allmächtige Gott meint mich. Ruft
mich an. Eine Verbindung entsteht. Verwandelt mich. Öffnet
meinen Sinn dafür, mich anrufen und verändern zu lassen,
und befähigt mich, aus dem Aggressionsverhältnis heraus
und in ein Resonanzverhältnis mit der Welt zu treten.

Von: Maria Moser

17. April

Ihr seid nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern
Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
Epheser 2,19

F. kam 2016 in unsere Gemeinde. Weil er Christ geworden
ist, musste er fliehen aus seinem Heimatland, dem Iran. Ich
erinnere mich gut an seine Miene, als er zum ersten Mal im
Gottesdienst war. Sie war wie versteinert.
Erst mit der Zeit begann sich seine Starre zu lösen. Wichtig
war ein Gespräch. «Was heisst für dich Willkommenskultur?
», habe ich F. bei einer Veranstaltung gefragt. Er sei dankbar
für das Dach über dem Kopf und alles, was er bekomme,
hat F. gemeint. Aber was er sich eigentlich wünsche: «dass
mich die Menschen in Österreich verstehen. Ich wäre lieber
zu Hause. Aber ich musste weg. Es war zu gefährlich. Ich
vermisse meine Familie, meine Freunde.»
Heute kommt F. mit einem lebendigen Lächeln in die Kirche.
Er ist nicht mehr Fremdling, sondern Hausgenosse.
Gemeinsam mit S., ebenfalls Flüchtling aus dem Iran, engagiert
sich F. in der Gemeinde. S. wurde auch in die Gemeindevertretung
gewählt. «Ich will, dass wir eine starke Gemeinde
sind, damit wir in der Gemeinde allen helfen können, die
Hilfe brauchen. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie das ist,
wenn man Hilfe braucht», sagt S. über seine Motivation,
Gemeindevertreter zu werden. S. und F. sind nicht mehr
Gäste, sondern Mitbürger der Heiligen.

Von: Maria Moser

17. Februar

HERR, wie sind deine Werke so gross und viel!
Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll
deiner Güter.
Psalm 104,24

Es sind die grossen Themen, die sich nahelegen, wenn wir
diesen Vers aus Psalm 104, dem grossen Lob des Schöpfers,
lesen: die überwältigende Schönheit der Schöpfung, die uns
in die Verantwortung für ihre Bewahrung ruft; die Fülle der
Güter, die uns sagt, es ist genug für alle da, und fragen lässt,
wie wir die Güter gerecht verteilen können.
Ich will meinen Blick heute auf einen anderen Aspekt
richten, der mitunter überlesen wird: Gott hat alles weise
geordnet. Schöpfung heisst Ordnung schaffen. Das ist der
allererste Gedanke der Bibel, so beginnt der Schöpfungsbericht:
«Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die
Erde war wüst und leer.» (1 Mose 1,1–2a) Am Anfang war
Tohuwabohu. tohu = hebräisch Ödnis, Leere; bohu = hebräisch
ungeordnet sein. Am Anfang war Chaos. Ein heilloses
Durcheinander. Gott beginnt, alles weise zu ordnen: Tag und
Nacht, oben und unten, Himmel, Erde und Wasser. So entsteht
Schritt für Schritt, Tag für Tag aus Leere und Chaos ein
Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen.
Wir sprechen oft vom «schöpferischen Chaos» oder verbinden
Schöpfung mit «etwas ganz Neues machen». Doch
biblisch heisst Schöpfung: Raum, Rhythmus, Beziehungen
ordnen. Gott schafft Ordnung. Wie eine weise Hausfrau.

Von: Maria Moser