Schlagwort: Heiner Schubert

9. August

Tut von euch die fremden Götter, die unter euch sind, und neigt euer Herz zu dem HERRN. Josua 24,23

Josua bleibt nicht mehr viel Zeit. Er weiss, dass er bald sterben wird.
In einer grossen Rede erinnert er das Volk an die Abenteuer, die sie gemeinsam durchgestanden haben; er erinnert sie daran, dass alles, was gelang und auch was schiefging, mit ihrer Beziehung zu dem einen Gott zu tun hat. So fordert er seine Leute auf, sich nicht ablenken zu lassen von fremden Göttern. Das Erstaunliche geschieht: Alle sind einverstanden damit, einen Bund zu schliessen, der auf dem Grund des Glaubens an den einen Gott fusst. Josua kann sich beruhigt ins Grab legen.
Es ist eine eigentliche Sternstunde, die die Bibel uns hier schildert. Seltene Einigkeit herrscht. Alle verstehen in diesem Augenblick, worauf es wirklich ankommt. Sie schliessen ihre Reihen und sie verpflichten sich. Als Zeichen lässt Josua ein grosses Steinmal aufstellen. Diese Abmachung hielt nicht ewig, aber sie hielt erstaunlich lange.
Der Bericht im Josuabuch erinnert uns daran, wie wichtig es ist, manchmal Dinge abzumachen und festzuschreiben und ihnen eine sichtbare Form zu geben.
«In der Hauptsache Einheit, in den Nebensachen Vielfalt» ist ein Grundsatz, den zu beherzigen sich lohnt. Sie kennen bestimmt Situationen, in denen dieser Grundsatz umgekehrt wurde. Das daraus erwachsende Chaos macht die Menschen kaputt und verbaut die Zukunft. Der Glaube an den einen Gott kann die erstaunliche Kraft eines Klebstoffs entfalten, der alles zusammenhält.

Von: Heiner Schubert

9. Juni

Und wenn man euch abführt und vor Gericht stellt,
dann sorgt euch nicht im Voraus, was ihr reden sollt,
sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird,
das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern
der Heilige Geist.
Markus 13,11

Letztes Jahr erbte ich aus dem Nachlass eines verstorbenen
Kollegen das Buch «Du hast mich heimgesucht bei Nacht».
Es versammelt viele Zeugnisse aus den letzten Lebensstunden
von Opfern der Nationalsozialisten. Was genau sie
sagten, als sie vor dem für seine Hasstiraden gefürchteten
NS-Richter Roland Freisler standen, steht nicht im Buch.
Die meisten ihrer Briefe und Tagebuchaufzeichnungen sind
getragen von einer tiefen Zuversicht auf die Hilfe, von der
Jesus im Markusevangelium spricht. Alle haben, zum Teil
schon sehr früh, die Gottlosigkeit des Regimes erkannt und
alle haben sich auf die eine oder andere Weise dagegengestellt.
Lange las ich die Markusstelle so, als verspreche Jesus Hilfe,
wie jemand durch geschicktes, von Gott eingegebenes Argumentieren
in letzter Sekunde den Kopf aus der Schlinge
ziehen kann. Jesus versprach Hilfe, sich nicht selbst abhandenzukommen,
auch unter grösstem Druck.
Keiner der im Buch Vorgestellten überlebte. Nicht Hoffnung
auf Rettung begründete ihre Zuversicht, sondern das
Wissen, im Leben und im Sterben vom Auferstandenen
selbst getragen zu sein.

Von: Heiner Schubert

9. April

Die auf den HERRN sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden. Psalm 34,6

Gemäss der Überschrift zum Psalm schrieb David dieses Gebet, nachdem er beim König von Gat so getan hatte, als wäre er psychisch krank. David tat viele Dinge, die einem anderen, mit den üblichen Hemmungen ausgestatteten Menschen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten. Davids Hemmschwelle lag nicht sehr hoch. Aber offenbar kannte sogar er das Gefühl, blossgestellt und eine Lachnummer zu sein.
Es gibt wenig, was unangenehmer ist, und es gibt fast nichts, was ein Leben derart beschädigt wie Erniedrigungen. Leider sind sie unter Menschen gang und gäbe und leider kommen gerade Kinder oft unter Druck, wenn Eltern überfordert sind und sich nur noch zu helfen wissen, indem sie das Kind kleinmachen.
Davids grossartige theologische Erkenntnis ist, dass Gott nicht erniedrigt. Gott mag die Sünde nicht, er mag es nicht, wenn man ihm die kalte Schulter zeigt, und er leidet an der Gottlosigkeit seiner Menschen. Aber er stellt uns nicht bloss.
Viel später wird Maria ihr wunderbares Lied singen und davon singen, dass Gott die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht. Sie singt davon, dass aus Gedemütigten Angesehene werden.

Von: Heiner Schubert

9. Februar

Du Menschenkind, alle meine Worte, die ich dir sage, die fasse mit dem Herzen und nimm sie zu Ohren! Hesekiel 3,10

Es ist viel von Härte die Rede in diesem dritten Kapitel. Die Menschen sind im Exil hart geworden. Hartherzig, verhärtet, versteinert. Ezechiel kann man übersetzen mit: Gott möge hart machen. Den harten Menschen soll also der gestählte Prophet selbst mit Härte entgegentreten und ihnen Gottes Wort entgegenschleudern. Dass die Kommunikation nicht klappen wird, ist bereits vorgesehen. Trotzdem muss Ezechiel gehen, trotzdem muss er ausrichten, was Gott ihm freundlich und durchaus bekömmlich aufträgt. In scharfem Gegensatz steht das Reden Gottes mit seinem Boten zur Predigt an ein Volk, das mit dem Glauben nichts mehr am Hut hat.
Auch wenn heute der Bedeutungsverlust der Kirche innerkirchlich oft beklagt wird: Ihre Botschaft hat nie sehr viele wirklich interessiert. Was Jesus sagte, ist überall da, wo mehr besser ist als weniger, nicht brauchbar. Die Härte, die es in all den Haifischbecken von Politik, Sport und Wirtschaft braucht, verträgt sich schlecht mit der Aufforderung, die Liebe an die erste Stelle zu setzen. Aber wir Glaubenden dürfen nicht hart werden, im Sinne der von Gott enttäuschten Vertriebenen. Sondern hartnäckig freundlich verkörpern, dass die besten Momente im Leben die sind, in denen Begegnungen gelingen; in denen ich verstehe und verstanden werde.

Von: Heiner Schubert

30. Dezember

Unser HERR ist gross und von grosser Kraft,
und unermesslich ist seine Weisheit.
Psalm 147,5

Ganz hinten im Psalmenbuch tummeln sich ein paar Gebete,
die Sie an Regentagen lesen müssen, wenn Himmel und
Gemüt umwölkt sind. Überschwänglich wird die Grösse
Gottes besungen, und voller Witz ist die Kritik an den Menschen,
die meinen, irgendetwas im Griff zu haben.
Im Allgemeinen bewegt sich die Stimmung in den Psalmen
ja sonst eher Richtung Tiefpunkt, aber gegen Ende wird
gelobt und gelacht, dass sich die Balken biegen.
So preist auch Psalm 147 Gott auf eine Art und Weise, dass
wir uns fragen, woher er diese Worte nimmt. Das Leben
zur Zeit, als viele Psalmen geschrieben wurden, war hart,
ständig bedroht und karg. Die grossartigen Versprechungen
und masslosen Gottesbeschreibungen sind aber weder leere
Worte noch billiger Trost.
In einer Zeit, in der Pflaster aller Art rasch zur Hand sind,
können wir uns schwer vorstellen, welch heilende, ermutigende
und tröstende Kraft der Glaube an einen Gott, der
weiss, was er tut und der die Dinge zum Guten wenden wird,
damals hatte. Wenn die Gemeinschaft laut den Gott pries,
der da ist, zugewandt und gegenwärtig, dann wurde die
Last, die jemand zu tragen hatte, leichter. Diese Eigenschaft
der lobenden Gemeinde trägt die Kirche bis zum heutigen
Tag. Und die alten Worte halten noch. Zum Teil sogar, was
sie versprachen.

Von: Heiner Schubert

30. Oktober

Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, seid fest und unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn. 1. Korinther 15,58

Ach. Wie vergeblich ist doch manches Tun. Da, wo ich wohne, kam letztes Jahr unter einem neu zu errichtenden Pferdestall ein römisches Bad zum Vorschein. Die Archäologen stürzten herbei, um Fotos zu machen, und rasch wurde der Fund wieder zugeschüttet. Vergebliches Bäderbauen in der Provinz Germania superior, vor schätzungsweise zweitausend Jahren? Für die damals Badenden wohl kaum. Und für die für sie schuftenden Sklaven wäre der Hinweis zynisch gewesen, die Frucht ihrer Arbeit würde in nicht allzu ferner Zukunft sowieso vom Dreck der Geschichte zugedeckt.
Paulus ermahnt die Korinther, mit Wohlwollen auf ihr Tun zu blicken. Ein ganzes Kapitel lang hat er für die Auferstehung geworben und erläutert, wie jemand sich vorzustellen hat, was nach dem Tod kommt. Nach so viel Jenseitsgedanken können schon etwas Zweifel aufkommen über die Sinnhaftigkeit des eigenen Wirkens. Darum will er am Schluss noch rasch die Kurve kriegen. Ich bin ihm dankbar. Es spielt eine Rolle, was wir tun, und es macht einen Unterschied, dass wir da sind. Ohne Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wäre die Welt entschieden ärmer.

Von: Heiner Schubert

30. Juli

Ich will in der Wüste Wasser und in der Einöde Ströme
geben, zu tränken mein Volk, meine Auserwählten.

Jesaja 43,20

Als feuchtigkeitsgewohnte Wasserschlossbewohner können
wir uns nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn es in der Wüste
regnet. Über Nacht werden Wadis grün und lieblich, erfreuen
und erfrischen Mensch und Tier. Weil das Wasser Leben spendet,
wird es in der Bibel zum Bild für alles, was erfrischt und
reinigt und belebt. Jesus vergleicht begeisterte Menschen mit
Quellen, aus denen Wasser sprudelt. Bei der Taufe steht das
Wasser für eine Neuwerdung, einen Neubeginn.
Wir werden in dieser Zeit Zeuginnen von alten Männern,
die nichts Erfrischendes an sich haben. Anstatt aufzubauen
und zu versöhnen, zerstören und verwüsten sie. Ich wünsche
mir nichts sehnlicher, als dass auch in ihre verwüsteten
Seelen das von Gott verheissene Wasser strömt und sie
verwandelt.
Aber ich will nicht nur auf die alten Männer zeigen. Ich
möchte mich selbst diesem frischen Wasser öffnen.
Wenn es nur so einfach wäre. Etwas früher bei Jesaja
schimpft Gott seine Anbefohlenen «löcherige Zisternen,
die das Wasser nicht halten». Leider ist mir auch dieses Bild
vertraut, dass ich das Gute vergesse, das ich erfahren habe;
dass die Ideen ausbleiben und die anstehenden Probleme
übermächtig zu werden drohen. Damit aus den verzagten
Herzen das Wasser sprudelt, von dem Jesus spricht, braucht
es ein Wunder, so wie Regen in der Wüste.

Von: Heiner Schubert

30. Mai

Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.
Psalm 126,1

Die das sagen, träumen von der Rückkehr nach Jerusalem,
aus dem sie viele Jahre zuvor verschleppt worden waren. Sie
sind sicher, dass sie zurückkehren werden, auch wenn es vollkommen
hoffnungslos aussieht, so, wie die Vorstellung 1980
hoffnungslos war, die Mauer könne fallen, oder 2024, ein
empathischer Mensch könne Präsidentin der USA werden.
Träume geben Energie, die Gegenwart auszuhalten, indem
sie innere Bilder schaffen, die sich in Hoffnung verwandeln.
Das Ende des Psalms liefert dazu die praktische Erklärung:
Mit Tränen sät der Vater, weil seine Kinder hungern. Anstatt
aus den letzten Körnern ein letztes Brot zu backen, enthält er
sie den Kindern vor, um später mit Jubel ernten zu können.
Dann werden alle wieder genug zu essen haben.
Wenn es dann so weit ist, bleibt das Lebensgefühl noch
eine Weile traumartig. Was lange nur in der Vorstellung existierte,
wird mit einem Mal Wirklichkeit. Die Seele braucht
Zeit für den Übergang.
Der Glaube umfasst die Aufgabe, in Bezug auf die Zukunft
sich eine Art von Traumzustand zu erhalten. Hartnäckig
weigern sich Christinnen und Christen zu glauben, dass am
Schluss sowieso alles den Bach runtergeht.

Von: Heiner Schubert

1. Januar

Hüte dich und bleibe still; fürchte dich nicht
und dein Herz sei unverzagt.
Jesaja 7,4

Das ist leichter gesagt als getan, wenn wie in diesem Fall eine Armee vor den Toren der Stadt steht und sie einzunehmen droht. Aber Jesaja macht Achas, dem König von Jerusalem, Mut: «Das sind nur rauchende Holzscheite; die können dir nichts anhaben!» Mit seinem Büblein an der Hand trifft er den König beim Teich, der die Stadt mit Wasser versorgt. Gott hat Jesaja aufgefordert, den Bub zum Treffen mit dem König mitzunehmen. Das Kind an der Hand verstärkt die Botschaft, dass die Stadt eine Zukunft hat. Auch der Ort des Treffens ist gut gewählt. Wasser ist das alte Symbol für das Leben. Vieles spricht in dieser Situation gegen die Hoffnung und für die Angst und darum lässt Gott nicht nur Jesaja sprechen, sondern unterstützt das, was er sagt, mit starken Bildern.
Vieles spricht auch heute gegen die Hoffnung und für das Verzagen. Dem Verzagen stehen nicht nur Gottes Zusagen aus der Bibel entgegen, sondern auch die konkreten Taten vieler, die von Hoffnung getragen sind. Wir sehen sie überall, wo Menschen sich dafür einsetzen, dass die Welt eine Zukunft hat. So lädt uns Jesaja ein zum Trotz. Seine Worte werden zu Vorsätzen, die uns das neue Jahr weit machen. «Trotz» kommt von «trutzig», wehrhaft. Unsere Welt braucht dringend die eigensinnige und robuste Hoffnung der Glaubenden.

Von: Heiner Schubert

30. Dezember

Josef sprach zur Frau des Potifar, die ihn verführen wollte: Wie könnte ich ein so grosses Unrecht begehen und gegen Gott sündigen? 1. Mose 39,9

Josef lehnt die unmissverständliche Einladung zum Seitensprung nicht ab, weil er weiss, was alle Seitenspringenden eigentlich wissen müssten, wenn sie ganz bei Trost wären: dass der kurze Lustgewinn in der Regel die Verwüstungen, die er anrichtet, nicht wert ist. Er lehnt auch nicht ab aus Rücksicht auf Potifar, obwohl er zuerst so argumentiert. Josef lehnt ab, weil er sich Gott verpflichtet weiss. Nie hören wir Josef klagen. Die langen Durststrecken, die er durchstehen musste, nahm er aus Gottes Hand. «Irgendwie hängt alles zusammen», muss er sich gesagt haben, «und ist Teil meiner Beziehung zum Ewigen.» Josef gibt dieser Beziehung mehr Gewicht. Das kränkt die Frau und erklärt ihre schändliche Reaktion.
Frau Potifar tut mir leid. Verheiratet mit einem obersten Beamten, einem Eunuchen, bleibt ihr eheliche Vertrautheit fremd. Sonst wird es ihr an nichts gefehlt haben. Als sie Josef begegnet, will sie sich etwas von dem, was ihr so schmerzlich fehlt, nehmen, auf unrechte Weise. Tragischerweise sucht sie an der falschen Stelle. Josefs Glück ist nicht im Bett zu finden. Potifar selbst muss von Anfang an klar gewesen sein, dass nicht Josef das Problem ist. Es besteht deshalb die Hoffnung, dass Herr und Frau Potifar aus dieser Krise lernen konnten und ihnen noch ein paar glücklichere Jahre vergönnt waren.

von: Heiner Schubert