Schlagwort: Dorothee Degen-Zimmermann

18. August

Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst
und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heissen im
Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird gross
heissen im Himmelreich.
Matthäus 5,19

Eine kleine Begebenheit vorab: Ich schaue einer Bekannten
zu, wie sie den Kopfsalat rüstet. Nicht von aussen nach innen,
wie ich es gewohnt bin, sie schneidet den Strunk weg, löst als
Erstes das «Herzli» heraus, danach die Blätter von innen nach
aussen. «So habe ich die besten Blätter in meinem Salat»,
sagt sie verschmitzt. Auf die Idee bin ich noch nie gekommen.
Nun zum Losungstext: Sollte er tatsächlich eine Anweisung
sein, sich noch pingeliger an die Gesetze zu halten als die
gesetzestreuen jüdischen Führer? «Wenn eure Gerechtigkeit
die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft,
werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen.» (Vers 20)
Wenn der Text nicht an prominentester Stelle, nämlich in
der Bergpredigt, stehen würde, ich würde ihn als «unverdaulich
» beiseitelegen.
Wie ist denn Jesus selbst mit dem mosaischen Gesetz
umgegangen? Er war ja wegen des Sabbat-Gebots im Dauerclinch
mit den Pharisäern. Ich glaube, er hat das Gesetz von
der Mitte, vom Herzstück her erfüllt. «Was ist das höchste
Gebot?» – Die Liebe zu Gott und zum Nächsten, «wie dich
selbst». Das hat er gelebt, auch am Sabbat. Darum hat er
selbst am Sabbat Kranke geheilt und geknickte Menschen
aufgerichtet. Es hat ihn letztlich das Leben gekostet.

Von: Dorothee Degen-Zimmermann

18. Juni

Himmel und Erde sind dein, du hast
gegründet den Erdkreis und was darinnen ist.
Nord und Süd hast du geschaffen.
Psalm 89,12–13


Seit am Nordpol das Eis zu schmelzen beginnt, bringen sich
die Mächtigen der Anrainerstaaten in Stellung. Nicht etwa
um den Lebensraum der Inuit oder der Eisbären zu schützen.
Nein, das offene Wasser ist für die Schifffahrt interessant und –
vor allem – für die Erforschung der Bodenschätze. Seltene
Erden werden dort vermutet, die in modernen Technologieprodukten
verwendet werden.
First come, first served? Wem gehören die seltenen Erden?
Wem gehören Himmel und Erde? Es ist unserem Planeten
nicht gut bekommen, dass die Gattung «Mensch» ihn als
ihr Eigentum betrachtet und rücksichtslos ausgebeutet hat.
«Macht euch die Erde untertan» (Genesis 1,22) – da haben
wir wohl etwas gründlich falsch verstanden und erhalten
jetzt die Quittung. Wie konnte es nur so weit kommen?
Es geht auch anders. Gotteslob und Respekt vor den Mitgeschöpfen
beginnen mit dem Staunen. Auf einem Berg
stehend überwältigt werden von der Rundsicht, im Sommerwald
den Duft des Harzes einatmen, ein wundersames
Wesen wie die Blauflüglige Ödlandschrecke (das Tier des Jahres
2023 von Pro Natura) kennen lernen: Aus dem Staunen,
der Bewunderung wachsen Dankbarkeit, Liebe und Respekt.
«Grosser Gott, wir loben dich; Herr, wir preisen deine Stärke.
Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke.»

Von: Dorothee Degen-Zimmermann

18. April

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 2. Timotheus 1,7

Paulus scheint seinen jungen Freund und Mitarbeiter Timotheus
gut zu kennen. In einem Brief macht er ihm Mut in
seiner herausfordernden Situation als Gemeindeleiter und –
wer weiss? – auch sich selbst im Gefängnis. Der «Geist der
Verzagtheit», so die Zürcher Übersetzung, ist auch mir nicht
unbekannt. Mutlos, niedergeschlagen, alles grau in grau.
Kraftlos, mit mir selbst beschäftigt, verwirrt. Wie komme
ich da wieder raus?
Paulus setzt der Verzagtheit einen anderen Geist entgegen:
den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Genau,
was die Verzagten brauchen!
Kraft – sie reicht für das, was jetzt gerade nötig ist, lässt
gelingen, was vorher unmöglich schien.
Liebe – sie wärmt das Herz und öffnet die Augen für die
Menschen neben mir, die der Hilfe bedürfen und Hilfe geben.
Besonnenheit – sie durchschaut die irrationalen Ängste
und schafft Raum für «realistisches» Gottvertrauen.
Kraft, Liebe und Besonnenheit sind Gottesgaben, nicht nur
für Timotheus, «uns gegeben», schreibt Paulus.
«Schäme dich nicht, Zeugnis abzulegen für unseren
Herrn», fährt er fort (Vers 8), «auch nicht dafür, dass ich für
ihn im Gefängnis bin, sondern ertrage für das Evangelium
Mühsal und Plage in der Kraft Gottes.»
Und mit Liebe und Besonnenheit.
Das ist genug, um den Tag zu bestehen.

Von: Dorothee Degen-Zimmermann