Schlagwort: Andreas Egli

4. November

Höret, alle Völker! Merk auf, Erde und alles,
was darinnen ist! Gott der HERR tritt gegen
euch als Zeuge auf.
Micha 1,2

Was ein Zeuge ist, sagt das lateinische Wort testis bzw. ter-stis:
Ein Dritter steht dabei, während sich zwei Parteien in einer
Auseinandersetzung befinden. Ohne Zeugen würde sich einfach
der Stärkere durchsetzen. Wenn ein Dritter zuschaut,
kann er später vor Gericht eine Aussage machen. So wird
der Schuldige zur Verantwortung gezogen, und der Schwächere
kommt zu seinem Recht. Der Losungsvers gehört zur
Überschrift des Michabuchs. Was in den Prophetenworten
dokumentiert ist, hat sich nicht in einem rechtsfreien Raum
abgespielt. Sondern Gott ist der Dritte, der alles beobachtet
hat und für Gerechtigkeit sorgt. Zur Zeit des Propheten
Micha wurde die Oberschicht in der Stadt Jerusalem reich
und wollte mehr Grundbesitz ansammeln. Die Landbevölkerung
in den umliegenden Dörfern geriet in Schulden und
musste ihren Boden verkaufen. Micha, der selbst aus einem
Dorf stammte, legte den Finger auf dieses soziale Unrecht. In
späteren Jahrhunderten ging es um politische Spannungen
in einem grösseren Massstab. Nun befand sich das kleine
Land Israel in der unterlegenen Position, es stand den Grossmächten
Assur und Babylon gegenüber. Aber auch da gab es
einen Zeugen. – In welchen heutigen Situationen braucht es
Dritte, die den Mut haben, hinzuschauen?

Von: Andreas Egli

5. September

Hilf deinem Volk und segne dein Erbe und weide
und trage sie ewiglich!
Psalm 28,9

Man hat den Psalm 23 im Ohr, mit dem ein Mensch sein Vertrauen ausdrücken kann: «Der HERR ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.» Fünf Psalmen später herrscht eine andere Stimmung. Der Psalm 28 hält Worte bereit für Menschen, die an Gott zweifeln. Kann es sein, dass Gott gar nichts hört? Kann es sein, dass Gott gar nichts sagt? Wird der Tod das letzte Wort haben? (Vers 1) Muss es dem Beter gleich gehen wie den ungerechten Menschen, die zwar friedliche Worte reden, aber in ihrem Innersten böse Pläne machen? (Vers 3) Im letzten Teil des Psalms geschieht ein Umschwung. Der Betende dankt dafür, dass Gott sein Rufen gehört hat. Nun stimmt das Gebet ins Vertrauen ein, das im Bild vom Hirten steckt. Das Volk Israel hat in seiner Geschichte erfahren, dass die Hoffnung berechtigt ist. Gott ist wie ein fürsorglicher Hirte. Das Volk ist seine Herde, mit der er auf dem Weg ist. «Hilf deinem Volk zur Freiheit. Segne die, welche dir als dauerhaftes Eigentum gehören. Hüte und trage sie wie ein guter Hirte, für alle Zeit.»
Im Lied «Grosser Gott, wir loben dich» ist der Losungsvers nachgedichtet. «Sieh dein Volk in Gnaden an; hilf uns, segne, Herr, dein Erbe; leit es auf der rechten Bahn, dass der Feind es nicht verderbe. Führe es durch diese Zeit, nimm es auf in Ewigkeit.» (Lied 247,9)

Von: Andreas Egli

4. September

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen? Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Matthäus 6,31

Das Englische hat zwei verschiedene Wörter: to worry (sich Sorgen machen) und to care (für jemanden sorgen). Auf Deutsch wie auch in den biblischen Sprachen gibt es nur das einzige Wort «sorgen», aber mit verschiedenen Bedeutungen. Wo hat man gute Gründe, in einer gefährlichen Situation ängstlich und vorsichtig zu sein? Wo wären die besorgten Gedanken, die sich ständig im Kreis drehen, eigentlich nicht nötig? Wo ist es eine wichtige Aufgabe, sich mit Vorsorge und Fürsorge um Mitmenschen zu kümmern, die darauf angewiesen sind? Die Jesusworte in der Bergpredigt geben Hinweise, wie man zwischen den verschiedenen Arten von «sorgen» unterscheiden könnte. An erster Stelle soll das Vertrauen auf Gott stehen: «Euer himmlischer Vater weiss, dass ihr alle diese Dinge nötig habt.» (Vers 32) Was den unnötigen Sorgen eine Grenze setzen kann, ist schlicht die Nacht: «Macht euch keine Sorgen für den morgigen Tag.» Jeder Tag hat seine eigenen Sorgen, das ist genug. (Vers 34)
Der Liederdichter Niklaus von Zinzendorf regt mit zwei Wörtern zum Nachdenken an: sorgenfrei und sorgsam. «Gib mir deinen Geist, der so köstlich heisst, dass ich ohne Worte spreche, dass ich ohne Sturm zerbreche, dass ich sorgenfrei und doch sorgsam sei.» (Lied 815,3)

Von: Andreas Egli

5. Juli

Die ihr den HERRN fürchtet, hoffet auf den HERRN! Psalm 115,11

In der Mitte des Psalms erklingt dreimal die gleiche Aufforderung:
«Vertraut auf den HERRN!» Die Begründung dafür lautet jeweils:
«Ihre Hilfe und ihr Schutzschild ist er.» Zuerst richtet sich der Aufruf
an das Volk Israel (Vers 9). Im zweiten Durchgang wird eine kleinere
Gruppe angesprochen. Das «Haus Aarons» sind die Priester, die
ihren Dienst im Tempel tun (Vers10). Beim dritten Mal aber kommt
im Losungswort ein viel grösserer Kreis in den Blick: alle Menschen,
die «Ehrfurcht haben vor dem HERRN». Diese Wendung ist in der
hebräischen Bibel ein fest geprägter Ausdruck. Er bezeichnet
Menschen aus anderen Völkern, die sich dem Glauben an den Gott
der Bibel anschliessen. Auch sie bekommen die Zusage, dass Gott
ihnen Hilfe und Schutz gibt. Der Psalm tritt für einen Glauben ein,
der immer weitere Kreise zieht.
Zwar hat er eine sehr kritische Sicht auf die Götterbilder, die
bei anderen Völkern verehrt werden. Sie sind Gegenstände,
die von Handwerkern hergestellt wurden. In eine Beziehung
treten kann man mit ihnen nicht (Verse 4–8). Aber der Psalm
ist offen für die Menschen, die Gott suchen. Er zieht nicht eine
nationale Grenze zwischen Einheimischen und Fremden, er
denkt nicht im Schema «wir und die anderen». Sondern er
fordert alle dazu auf, sich zu fragen, worauf ihr Vertrauen
gegründet ist.

Von: Andreas Egli

4. Juli

Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt!
Den wird der HERR erretten zur bösen Zeit.
Psalm 41,2

Krankheit ist das Thema des Psalms, und er beginnt im
Losungsvers mit einer Seligpreisung: «Glücklich ist, wer
Einsicht findet beim Schwachen. Am bösen Tag wird ihn der
HERR davonkommen lassen.»Gratulieren muss man jedem,
der einen kranken Menschenwahrnimmt und bei ihm etwas
lernt: Gottsteht auf der Seite des Kranken und wird ihm helfen,
einen Ausweg zu finden. «Der HERR wird ihn unterstützen auf
dem Krankenbett. All seine Bettlägerigkeit hast du
verwandelt in seiner Krankheit.» (Vers 3) Ganz anders
sieht es bei den Mitmenschen aus, die manchmal wenig Verständnis
für einen Kranken haben. Den Psalmbeter schmerzt
es, wenn er von den Leuten entmutigende Äusserungen
hört wie: «Wann wird er sterben und wird sein Name vergehen?» (Vers 6)
Oder: «Wer liegt, wird nicht wieder aufstehen.» (Vers 9) Dennoch gelingt
es ihm, im Gebet wieder Hoffnung zu finden: «Und du, HERR, sei mir
gnädig und hilf mir, wieder aufzustehen.» (Vers 11) Auch im modernen
Gesundheitswesen stellt sich die Frage: Stehen die Patientinnen und
Patienten im Mittelpunkt? Wird zwischen gesunden und kranken Menschen
eine Solidarität gelebt?
Dafür setzt sich der «Tag der Kranken» ein, der in der Schweiz am ersten
Sonntag im März begangen wird. Im Jahr 2024 stand er unter dem Motto «Zuversicht stärken».

Von: Andreas Egli

5. Mai

Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Psalm 42,2

In biblischer Zeit lebten in Israel noch Hirsche. Der Psalm
stellt sich eine Hirschkuh vor, die Wasser sucht. Der Durst
treibt sie zu einem Bach. Aber das Bachbett ist nicht immer
mit Wasser gefüllt, zeitweise bleibt es ganz ausgetrocknet.
Beim Hirsch wird das Durstgefühl immer stärker. Er schreit
nach Wasser, wie Martin Luther übersetzte. Der Durst ist
eine Erfahrung, die wir Menschen mit den Tieren teilen. Die
trockene Kehle muss trinken können, sonst hält sie es nicht
lange aus. Was man gewöhnlich mit «Seele» wiedergibt,
heisst wörtlich «Kehle». Hier ist der Ort, wo der Mensch
seine Bedürftigkeit erlebt. Er ist darauf angewiesen, dass er
essen und trinken kann. Die Kehle ist aber auch der Ort,
wo wir unsere Lebendigkeit zum Ausdruck bringen, mit der
Stimme und der Sprache. Wir klagen und weinen, wir lachen
und danken. Der Psalm spricht die Erfahrung an, dass es
im Glauben manchmal eine Durststrecke gibt. Zu gewissen
Zeiten ist Gott für den Betenden weit weg. Aber der Psalm
zeigt einen Weg, mit der Durststrecke umzugehen. Er behält
Zeiten in Erinnerung, in denen sich die Seele darüber freute,
dass Gott nahe war. Der Mensch kann ein Selbstgespräch
mit der Seele führen und ihr sagen: «Warte auf Gott, denn
ich werde ihm noch einmal danken für seine Hilfe.» (Vers 6)

Von: Andreas Egli

4. Mai

Ihr sollt genug zu essen haben und den Namen
des HERRN, eures Gottes, preisen.
Joel 2,26

Das gleiche hebräische Wort hat zwei ganz verschiedene
Bedeutungen. In der Losung ist «essen» können etwas
Wohltuendes und Lebensnotwendiges. Aber der Anfang des
Joelbuchs beschreibt mit «fressen» zwei schwere Naturkatastrophen.
Riesige Schwärme von Wanderheuschrecken
fallen wie ein feindliches Heer über das Land und verzehren
alles, was in der Pflanzenwelt wächst. Die Flammen von
Wald- und Buschbränden entfalten eine ähnlich zerstörerische
Wirkung. Die Lebensgrundlagen, von denen sich Menschen
und Tiere ernähren, sind auf Jahre hinaus gefährdet.
Das Prophetenbuch gibt Hinweise, wie die Bewältigung einer
solchen Katastrophe aussehen kann. In einem langen Klagegebet
wird das Erschrecken über den Ausnahmezustand in
Worte gefasst. Die Wende beginnt mit dem Aufruf, dass sich
die Menschen besinnen und Gott neu zuwenden. Von Gott
kommt schliesslich die Zusage, im Land solle wieder ein
gutes Leben möglich sein. Im Losungsvers ist die Dankbarkeit
über den neuen Anfang zu spüren. Die Katastrophe ist
vorbei. Weil Gott seinen Segen gibt, können die Menschen
so viel essen, dass sie satt werden. – Wo liegen die Ursachen
für heutige Hungerkatastrophen? Krieg, Unrecht, Zusammenbruch
von Ökosystemen … Was heisst Besinnung? Was
ist nötig, damit der Segen zu allen Menschen kommt?

Von: Andreas Egli

5. März

Wer weiss, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Jona 3,9

Gott bereut einen Entschluss, den er noch nicht ausgeführt hat. Er überlegt sich die Sache nochmals, verzichtet auf die angedrohte Strafe und gibt dem Leben eine neue Chance. Das Volk Israel kann dank Gottes Güte einen neuen Anfang machen, dies ist ein Herzstück des biblischen Glaubens. Die kleine Schrift über den Propheten Jona beschäftigt sich mit einer neuen Frage. Bekommt auch ein anderes Volk, ja sogar ein feindliches Volk diese Chance? Jona hat den Auftrag, in die Stadt Ninive zu reisen. Die Hauptstadt des assyrischen Reiches war der Inbegriff einer feindlichen Grossstadt. Dort verkündet Jona: «Noch vierzig Tage, dann wird Ninive durch eine Katastrophe zerstört.» (Jona 3,4) Die Bewohner der Stadt nehmen sich die Botschaft zu Herzen. Der König ruft alle auf, eine Fastenzeit einzuhalten und sich von den schlechten Wegen abzuwenden. Ausgerechnet der König von Ninive sagt im Losungsvers: «Wer weiss? Vielleicht wird Gott umkehren, und er bereut seinen Entschluss.» So kommt es. Gott lässt die Stadt Ninive am Leben. Keine Freude daran hat Jona, der immer noch auf die Katastrophe wartet. Die Schrift endet mit einer Frage, die Gott an Jona richtet: Darf ich nicht Mitleid haben mit den Menschen und Tieren in dieser Stadt?

Von: Andreas Egli

4. März

Seinem Volk wird der HERR eine Zuflucht sein und eine Burg den Israeliten.
Joel 4,16

Gott wird für Recht sorgen, und alle sollen es hören. Der lauteste vorstellbare Ton ist das Signal: ein Donnerschlag oder das Brüllen eines Löwen. Der Lärm soll ein heilsames Erschrecken und ein Umdenken auslösen. So sagte es der Prophet Amos in der frühen Zeit der Könige Israels (Amos 1,2). Das eigene Volk sollte lernen, sich an der Gerechtigkeit zu orientieren – und nicht am Recht des Stärkeren. In den folgenden Jahrhunderten war Jerusalem immer wieder einer anderen Nation unterworfen: Assur, Babylon, Persien, Griechenland. Das Buch Joel nimmt diese Erfahrungen auf. In einer Textcollage stellt es Zitate aus den älteren Propheten und den Psalmen zusammen. Es geht um das gleiche Thema, aber jetzt mit einer anderen Perspektive: Zwischen den Völkern und Israel soll das Recht wiederhergestellt werden. Das Unrecht, das den Israeliten angetan worden ist, kommt vor Gericht. Aber die, welche die Lektion der Propheten gelernt haben, müssen keine Angst haben. Im Vertrauen auf Gott finden sie Schutz und Geborgenheit. «Der HERR wird vom Zion her brüllen wie ein Löwe. Von Jerusalem her wird er seine Donnerstimme erheben. Dann werden Himmel und Erde erbeben. Und der HERR ist eine Zuflucht für sein Volk, eine starke Burg für die Israeliten.»

Was sagt uns der Text in der heutigen Weltlage?

Von: Andreas Egli

5. Januar

Lasst uns gehen, den HERRN anzuflehen und zu suchen den HERRN Zebaoth; wir wollen mit euch gehen. Sacharja 8,21

Auf den Weg gehen, um an einem besonderen Ort anzukommen, wo man Gott begegnen kann – das ist in heutiger Sprache eine Pilgerreise oder eine Wallfahrt. In Jerusalem gingen die Gläubigen zum Tempel, um ihre Beziehung zu Gott wieder in Ordnung zu bringen (den HERRN freundlich zu stimmen) und von Gott eine Weisung für das Leben zu erbitten (den HERRN zu suchen). Die gewagte Aussage des Losungsverses liegt darin, wer hier spricht. Es sind in diesem Text nicht die Israeliten, sondern die Angehörigen anderer Völker, die Bewohner fremder Städte. Es sind die feindlichen Nationen, die einst mit ihren Armeen gegen Jerusalem in den Krieg zogen. Es sind die Mächte, welche das Existenzrecht des Volkes Israel in Frage stellten. Nun kommen sie in einer ganz anderen Haltung: als friedliche Wallfahrer, die gemeinsam mit Israel auf den Pilgerweg gehen. «Völker werden kommen und die Bewohner von vielen Städten. Die Bewohner der einen Stadt werden zur anderen gehen und sagen: Wir wollen wirklich gehen, um den HERRN freundlich zu stimmen und den HERRN der Heerscharen zu suchen.» Im Bibeltext erklingt eine Stimme, die einen Frieden zwischen dem Volk Israel und seinen Nachbarn für möglich hält.
Was müsste heute geschehen, damit wir dieser Hoffnung näherkommen?

Von: Andreas Egli