Höret, alle Völker! Merk auf, Erde und alles,
was darinnen ist! Gott der HERR tritt gegen
euch als Zeuge auf. Micha 1,2
Was ein Zeuge ist, sagt das lateinische Wort testis bzw. ter-stis:
Ein Dritter steht dabei, während sich zwei Parteien in einer
Auseinandersetzung befinden. Ohne Zeugen würde sich einfach
der Stärkere durchsetzen. Wenn ein Dritter zuschaut,
kann er später vor Gericht eine Aussage machen. So wird
der Schuldige zur Verantwortung gezogen, und der Schwächere
kommt zu seinem Recht. Der Losungsvers gehört zur
Überschrift des Michabuchs. Was in den Prophetenworten
dokumentiert ist, hat sich nicht in einem rechtsfreien Raum
abgespielt. Sondern Gott ist der Dritte, der alles beobachtet
hat und für Gerechtigkeit sorgt. Zur Zeit des Propheten
Micha wurde die Oberschicht in der Stadt Jerusalem reich
und wollte mehr Grundbesitz ansammeln. Die Landbevölkerung
in den umliegenden Dörfern geriet in Schulden und
musste ihren Boden verkaufen. Micha, der selbst aus einem
Dorf stammte, legte den Finger auf dieses soziale Unrecht. In
späteren Jahrhunderten ging es um politische Spannungen
in einem grösseren Massstab. Nun befand sich das kleine
Land Israel in der unterlegenen Position, es stand den Grossmächten
Assur und Babylon gegenüber. Aber auch da gab es
einen Zeugen. – In welchen heutigen Situationen braucht es
Dritte, die den Mut haben, hinzuschauen?
Von: Andreas Egli