Autor: Heidi Berner

26. Januar

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Jesaja 42,3

Wir alle kennen Zeiten,
wo es alles andere
als rund läuft.
Wo wir geknickt sind,
fast zerbrechen an dem,
was uns widerfährt.
Wo unser Lebenslicht
zu erlöschen droht.
Noch sind wir
davongekommen.
Noch glimmt
der Docht.
Was lässt uns
– geknickt, angezählt –
weiterleben?
Vielleicht sind es
solche uralten Zusagen
voller Hoffnung.
Sie ermutigen uns,
den Stürmen zu trotzen.
Gezeichnet, verletzlich,
dankbar.

Von: Heidi Berner

25. November

Paulus schreibt: Brüder und Schwestern, ihr seid
zur Freiheit berufen! Aber benutzt eure Freiheit nicht
als einen Vorwand, um eurer menschlichen Natur
zu folgen. Dient euch vielmehr gegenseitig in Liebe.

Galater 5,13

Wir sind zur Freiheit berufen –
im Leben gilt Multiple Choice.
Wir haben vielerlei Wahl:
Hinsehen oder wegsehen?
Nur für uns selber gucken
oder auch an andere denken?
Helfen oder sich helfen lassen?
Alles selber machen wollen
oder anderen etwas zutrauen?
Verstummen oder es wagen,
die Gefühle wahrzunehmen,
in Worte zu fassen, zu beten?
Viele Wege stehen uns offen,
aber sicher nicht alle!
Wir sind gebunden in der Familie,
im Beruf, in der Gemeinschaft,
sorgen füreinander,
sind abhängig von anderen,
angewiesen auf ihre Zuwendung.
Darum ist unsere Freiheit beschränkt.
Und das ist gut so.

Von: Heidi Berner

24. November

Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit
habe ich dich beschwert? Das sage mir!
Micha 6,3

Manchmal ist es unverständlich,
wie die Leute, ja ganze Völker, ticken.
Wie viele hereinfallen auf billige Phrasen,
wie sie jenen alles nachplappern,
die ihnen Sündenböcke präsentieren,
ihnen suggerieren, immer die anderen
seien schuld an allem, was nicht gut ist.
Beispiele gibt es doch genug,
was herauskommt, wenn behauptet wird,
es gäbe nur Schwarz und Weiss,
egal ob rechts oder links.
Mir ist bange, wenn ich sehe,
wie an allen Ecken der Welt
Leute an die Macht kommen
oder kommen könnten,
die solchen Populismus pflegen.
Weshalb sind die Menschen so blind,
sehen die Konsequenzen nicht?
Wie bekommen wir endlich
mündige Bürgerinnen und Bürger?
Wie werde und bleibe ich wachsam
und kritisch gegen simple Parolen,
menschenfreundlich und zugewandt?
Das sage mir!

Von: Heidi Berner

25. September

Als die Jünger Jesus sahen, warfen sie sich nieder;
einige aber zweifelten. Und Jesus trat zu ihnen
und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel
und auf Erden.
Matthäus 28,17–18

Vermutlich wäre ich eher
bei jenen gewesen,
die der Sache nicht so ganz
getraut haben.
Ich habe es gerne fundiert.
Auch die Aussage:
«Mir ist alle Macht gegeben
im Himmel und auf Erden»,
hätte ich skeptisch betrachtet.
Zu schlecht ist der Ruf
der Mächtigen aller Couleur.


Wie würde er mich überzeugen?
Oder besser, aktueller:
Wie überzeugt er mich?
Mit der Schlichtheit,
mit der er allen begegnet ist,
nicht als Mächtiger,
sondern mit Zuwendung
ohne Vorurteile, ohne Skepsis.
Darin ist er mir Vorbild,
darin liegt seine sanfte Macht.
Eben doch.

Von: Heidi Berner

24. September

Gleichwie Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, so lässt Gott der HERR Gerechtigkeit aufgehen und Ruhm vor allen Völkern. Jesaja 61,11

In unserem Garten wächst allerlei:
Kratzdisteln, Hexenkraut, Löwenzahn,
Rainkohl, Storchenschnabel,
Nelkenwurz, Jungfer im Grünen,
Pfennigkraut, Hahnenfuss, Bocksbart
und jede Menge roter Mohn.
Die Samen dieser Gewächse,
sie sind offensichtlich überall,
gehen auf und machen meinem Gemüse
den Platz streitig. Gleichzeitig
erfreuen sie mich in ihrer Vielfalt.


Auch die Samen für Gerechtigkeit sind da,
mitten unter uns, überall.
Hoffen wir, der Wind verteilt sie –
wie die wunderhübschen Fallschirmchen
von Bocksbart und Löwenzahn.
Lassen wir die Saat aufgehen!
Geben wir ihr den Raum,
den sie braucht, den sie – vielleicht –
unserem Eigennutz streitig macht.
Schenken wir ihr fruchtbaren Boden.
Zum Ruhm der Menschheit.

Von: Heidi Berner

25. Juli

Gott sprach: Meinen Bogen habe ich gesetzt
in die Wolken; er soll das Zeichen sein des Bundes
zwischen mir und der Erde.
1. Mose 9,13

Probleme türmen sich auf,
überflutet bin ich von Aufgaben,
die ich nicht bewältigen kann,
bin im Zwiespalt, kann es
unmöglich allen recht machen.
Mir selber schon gar nicht.

Schnell, schnell noch einkaufen …
Als ich das Geschäft verlasse,
schüttet es in Strömen.
Ich warte eine Weile «am Schärme».
Warte, bis der Regen nachlässt.
Sogar die Sonne scheint wieder,
blendet mich.

Als ich heimzu radle,
ist ein wunderschöner
Regenbogen aufgespannt, riesig,
fast ein Halbkreis.

Überwältigend ist er –
ein Zeichen am Himmel:
Alles wird gut.

Von: Heidi Berner

24. Juli

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,
der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit
wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind,
mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden
von Gott.
2. Korinther 1,3–4

Trost hilft uns zu leben,
weiterzuleben,
wenn wir traurig sind.

Trost ist göttlich,
ist aus Liebe geboren
und aus dem Ja zum Leben.
Getröstete können
selber trösten.
Es gibt so etwas
wie eine lange Kette,
ja sogar ein Gewebe
des Trostes.
Wohl uns,
wenn wir ein Teilchen
in diesem Gewebe
sein dürfen.

Ich bin überzeugt,
dieses Gewebe hält
die Welt zusammen.

Von: Heidi Berner

25. Mai

Paulus schreibt: Ich bin der geringste unter den
Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel
heisse, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen.
1. Korinther 15,9-10

Es ist ihm eingefahren,
er ist untröstlich, dass er
die Christen verfolgt hat.
Wir kennen das doch:
Manchmal liegen wir falsch.
Wie mies muss es Paulus
gegangen sein, als es ihm
bewusst geworden ist,
dass er sich geirrt hat.


Denn er ist Christus begegnet –
für ihn wahrhaftig eine Zeitenwende.
Wie erfüllt muss er gewesen sein
nach dieser Begegnung.
Das Erschrecken über seinen Irrtum
und die Erfahrung von Gnade,
von Angenommensein,
haben ihn wohl zeitlebens angetrieben.
Er ist ein Mann mit einer Mission.
Glaubwürdig.

Von: Heidi Berner

24. Mai

Das sei ferne von uns, dass wir den HERRN verlassen!
Josua 24,16

Wir doch nicht!
Auf uns ist Verlass.
Komme, was wolle.
Wir sind standhaft.
Wir halten dir die Stange.
Wir sind treu. Wir bleiben.


Manchmal kommt alles anders.
Ganz anders.
Dann zeigt es sich,
wie standhaft wir sind. Wie treu.
Ach, es ist ja so menschlich,
zu versagen, untreu zu werden.


Daran will ich mich halten:
Ich scheue mich
immer ein wenig,
dich mit Namen, Begriffen
dingfest zu machen
– Gott, Lebendige, Ewiger –
mein Du, unser Du!
Du bist die Kraft, die uns
leben und lieben lässt.
Lass du uns nicht los. Nie.

Von: Heidi Berner

25. März

Predige das Wort, stehe dazu, es sei zur Zeit oder zur Unzeit.
2. Timotheus 4,2

Vor neun Jahren stiegen wir

im Sommer auf den Preikestolen,

den Predigerstuhl, in Norwegen.

Es ist ein Felsplateau,

600 Meter über dem Lysefjord.

Senkrecht hinunter geht es –

fantastisch ist der Ausblick.

Kein Geländer schützt

vor dem Absturz – trotzdem

oder gerade darum –

war ich geradezu berauscht

von der Exponiertheit,

der Fragilität der Existenz.

Geht es so jenen, die von oben,

von der Kanzel her predigen?

Sind auch sie berauscht?

Ergriffen von der Fragilität

der Gewissheiten?

Wer predigt, exponiert sich,

ist auch an einem Abgrund.

Und ich denke sogar, dass

wirklich gute Predigten sich

immer an den Rand

des Sagbaren trauen.

Auch ohne Kanzel.

Von: Heidi Berner