Autor: Hans Strub

17. Mai

Die Gnade des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit
über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit
auf Kindeskind bei denen, die seinen Bund halten.

Psalm 103,17–18

Der Psalm 103 ist das Hohelied von der Güte Gottes, die für
alle Geschöpfe rund um den Erdball gilt. Und das, obwohl
gerade die Menschen sehr «vorübergehende» Wesen sind:
Des Menschen Tage, meine Tage, sind wie Gras, ich blühe
wie eine Blume des Feldes – wenn der Wind darüberfährt,
bin ich dahin, und meine Stätte weiss nicht mehr von mir
(Verse 15 und 16.). Schon mit dem ersten Wort im nächsten
Vers wird dieser biologischen Gegebenheit meines kurzen
menschlichen Seins die unermessliche Grösse und Weite
von Gottes Zuwendung zu den Menschen gegenübergestellt:
Mit dem «aber» und «von Ewigkeit zu Ewigkeit»
wird eine Dimension angesprochen, die jenseits aller meiner
Vorstellungskraft ist. Das ist Gottes Dimension. Und diese
unbeschreibliche Zuwendung, die allen – uns allen! – von
Gott her zukommt, wird Gnade genannt. Ein letztlich unerklärbarer
Vorgang, der einzig dem Wollen Gottes entspringt.
Gott will, dass alle Menschen ein behütetes Leben führen
können. Unter seinem Schutz. Das ist der für mich spürbare
Ausdruck von Gottes Güte zu allem und allen, die den ganzen
Psalm durchdringt.
Und diese gilt an jedem einzelnen Tag!

Von: Hans Strub

16. Mai

Ich will hoffen auf den HERRN, der sein Antlitz
verborgen hat vor dem Hause Jakob.
Jesaja 8,17

Wenn die Mauern oder Pfeiler unserer Kirchen gefragt würden,
welches die Wörter sind, die hier drinnen am meisten
ausgesprochen werden, sie würden wohl antworten (wenn
sie denn könnten): Frieden, Glaube, Liebe, Hoffnung … Das
letztgenannte dürfte heutzutage gar überwiegen. In unserer
unvermittelt noch komplizierter gewordenen Welt braucht
es Hoffnung ganz besonders. Wer Hoffnung sagt, redet von
einer anderen Wirklichkeit. Sie ist verborgen, aber sie existiert.
Und sie wirkt in die Realität, die uns umgibt, von der wir
Teil sind und die uns manchmal den Atem nimmt. Hoffnung
ist wie Luft, die unerwartet von irgendwo herkommt und
uns, wenigstens für einen kurzen Augenblick, durchatmen
lässt. Das füllt nicht nur die Lungen, sondern erfüllt den
ganzen Menschen mit einem Kraftschub. Hoffnung schafft
Raum für Neues und bringt Energie. Wer hoffen mag, kann
mit einer Veränderung der bestehenden Verhältnisse rechnen.
Mehr noch: darf daran glauben und darauf vertrauen.
Das meint wohl Jesaja, wenn er Unmut verspürt über seinen
Auftrag gegenüber einem Volk, das nicht hören will. Und
schon gar nicht umkehren, wie es Gottes Wille ist. Dass er
hofft, gibt ihm den Mut, sein Amt als Mittler zwischen Gott
und seinem Volk weiterzuführen. Weil er weiter zu hoffen
wagt – trotz allem, was rundherum ist –, kann er in Gottes
Dienst ausharren und immer wieder Luft holen.

Von: Hans Strub

17. April

Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du
hältst mich bei meiner rechten Hand.
Psalm 73,23

Nur ganz knapp ist der Mensch, der diesen Psalm betet oder singt, der Verführung erfolgreicher Mächtiger entronnen. Es gelang ihnen, mit prahlerischem und bösartigem Reden, mit gewalttätigem und Gott verhöhnendem Tun grosse Teile des Volkes zu betören. So beschreibt er in den ersten zwanzig Versen des Psalms, was er erfahren hat. Erst als er von nahem sah, wie entsetzlich das Leben solcher Verführer enden kann, gingen ihm die Augen auf; er war «dumm», sagt er schonungslos von sich (Vers 22). Aber dieses Erleben hat ihn gerettet – von jetzt ab, beteuert er, werde er sich nur noch an Gott halten. Dafür braucht er das Bild eines Kindes, das geführt wird. Und geführt werden will! Damit er nie mehr ins Wanken gerät.
Sein Gebet beeindruckt mich auch deshalb, weil es so aktuell ist. Was er beschreibt, geschieht in unseren Tagen an zahlreichen Orten. Und zu vielen ergeht es dann so, wie es ihm fast ergangen wäre. Im letzten Augenblick sah er plötzlich klar, wohin der so laut gepriesene Weg führt. Zu Recht zeigt er sich tief dankbar seinem Gott gegenüber und redet davon. Sein Gott ist auch unser Gott und will auch heute und morgen Menschen aus der Verführung führen. Darauf dürfen wir, darf ich bauen. Gott braucht meine Bereitschaft, mich ihm anzuvertrauen. Dass ich dieses Zutrauen aufbringen kann, dafür bete ich mit diesem Psalm und mache mir den Satz von heute zu eigen.

Von: Hans Strub

16. April

Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn
der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da.
Die Gnade aber des HERRN währt von
Ewigkeit zu Ewigkeit.
Psalm 103,15–16.17

In der dritten Strophe des bekannten und oft gesungenen Psalmliedes von Johann Gramannn, dem Reformator Ostpreussens, formuliert er: «Er kennt das arm Gemächte
(Geschöpf) und weiss, wir sind nur Staub, ein bald verwelkt Geschlechte, ein Blum und fallend Laub. Der Wind nur
drüber wehet, so ist es nimmer da; also der Mensch vergehet, sein End, das ist ihm nah.» Dann aber folgt unmittelbar in der nächsten Strophe: «Die Gottesgnad alleine steht fest und bleibt in Ewigkeit …» (EKG 59).
Was noch viel früher schon Jesaja besungen hatte (Kapitel 40), wiederholt der Psalmsänger, um seinen Gott über alles zu loben: Es ist ein Zeichen der grossen Güte Gottes, dass er sich jedes einzelnen Menschen annimmt. Unter dem hebräischen Wort «chesed» (die absolute Liebe, ohne eine Gegenleistung zu erwarten) steht der ganze Psalm; Gottes Liebe, Gnade und Güte ist der einzige Grund dafür, dass die Menschen leben können. Und dürfen. Wenn ich das zitierte Lied singe, dann gebe ich meiner Dankbarkeit Ausdruck. Wenn ich den Psalm 103 als Ganzen lese oder höre, dann wird diese «chesed», wie meine Dankbarkeit auch, mit jedem neuen Satz umfassender. Und zu einer Kraftquelle, mein Leben in diesem Horizont zu gestalten.

Von: Hans Strub

17. März

Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! Micha 7,18

Die letzten gut zehn Verse des Michabuchs sind ein Dankgebet. Gedankt wird Gott dafür, dass er trotz allem «Sünden vergibt und Schuld erlässt» – nachdem dieser Prophet in mehreren Anläufen dem Volk in und um Jerusalem vorgerechnet hat, was es alles falsch gemacht und womit es sich Gottes Zorn und alle Strafen zugezogen habe. «Ich werde die Wut des Herrn ertragen, denn ich habe gesündigt gegen ihn (…), aber er wird mich hinausführen an das Licht, ich werde seine Gerechtigkeit sehen!» (Vers 9) Eine wundervolle Aussage, an die der heutige Satz eigentlich direkt anschliesst: Nicht die Strafe ist das Letzte, nicht das Unheil oder gar der Untergang – diese Szenarien kommen bei Micha durchaus vor –,
sondern der vergebende Gott will Neuanfänge ermöglichen! Er hat «Gefallen an Gnade»! Wir können diesen Satz und die ihn umgebenden Sätze in unseren Tagen nicht oft genug lesen und hören: Gott wird seiner Welt Auswege aus chaotischen Zuständen, aus Zorn und Hoffnungslosigkeit auftun. Darum wird hier gebetet, darum können alle Menschen in aller Welt beten und bitten. Gott wird, so macht der alte Prophet hier deutlich, darauf hören, weil er ein Gott des Lebens – und der Gnade ist! Damals wie heute!

Von: Hans Strub

16. März

Ich sprach, als es mir gut ging: Ich werde
nimmermehr wanken. Aber als du dein Antlitz
verbargst, erschrak ich.
Psalm 30,7.8

Ich verstehe ihn. Eine Krankheit untergräbt manchmal das Selbstbewusstsein, wie hier bei dem Menschen, der von seiner Krankheit genesen war. Rückblickend stellte er fest, dass die Krankheit – wir erfahren nicht, um welche es sich gehandelt haben könnte – ihn tief erschüttert hatte. Auch spirituell, denn er empfand sie als eine unerwartet gottferne Zeit. Er sei heftig erschrocken, als ihn seine Kräfte verliessen – und er sich auch von Gott verlassen fühlte. Er nahm das so wahr, dass Gott ihm zürnte. Sein Gebet imponiert mir – er «rechtet» mit Gott und kämpft um dessen erneute Zuwendung (Verse 9–11). Und Gott lässt sich auf diese Form von Gebet tatsächlich ein und macht ihn gesund (Verse 12 und 13)! Im Erschrecken erkennt er, wie sehr er auf Gottes Gnade und Erbarmen angewiesen ist. Darum ringt er dann – erfolgreich. Er musste erfahren, dass alle seine Stärken und Kompetenzen plötzlich sehr eingeschränkt waren. Dass er, der sich kraftvoll und mächtig gesehen hatte, im Nu fallen könnte. Umso tiefer seine (meine?) Dankbarkeit, als er merkte, dass Gott ihn auffängt. «Denn sein Zorn währt einen Augenblick, ein Leben lang seine Gnade; am Abend ist Weinen, doch am Morgen ist Jubel.» (Vers 6) Das ist sein Jubel, der bis zu mir und uns erschallt: Gott ist da und hört auf meine Notrufe. Ich kann mit Gott reden, wie mir zumute ist. Er verlangt nicht irgendwelche Formen, nur Offenheit!

Von: Hans Strub

17. Februar

Von deiner Wahrheit und von deinem Heil rede ich, HERR. Ich verhehle deine Güte und Treue nicht vor der grossen Gemeinde. Psalm 40, 11

Der Kollege, der gestern in einem eindrücklichen Gottesdienst zum «gerechten Frieden» eindringlich und laut predigte, tat genau das: Er redete vor einer durchaus grossen Gemeinde von «Gottes Güte und Treue». Er benannte die gegenwärtigen geopolitischen Bedrohungen und stellte ihnen die «Zusagen des Ewigen» gegenüber. Sein eigenes Vertrauen in ihn sprach er klar aus. So überzeugend und so direkt, dass viele aus der Gemeinde mehrfach zustimmend mit dem Kopf nickten und dem Gesagten zustimmten. Offensichtlich waren sie dankbar, dass so zuversichtlich eine Zukunft des Friedens in Wort und Ton und Gestus geradezu «beschworen» wurde. Der Psalmsänger von heute, so scheint es, will von seiner Erfahrung vom «Ausbruch des Friedens» so reden, dass viele es hören – und dadurch auch darauf vertrauen, «dass du, Gott, mir dein Erbarmen nicht verschliessen wirst und deine Güte und Treue mich immer behüten werden». Gestern wurde uns das gesagt!
Das habe ich nötig von Zeit zu Zeit, jetzt besonders. Und wenn es mich berührt hat, dann kann ich es auch anderen weitersagen. Gott ist ein Gott des Friedens, im Kleinen wie im Grossen. Und Gott gibt Kräfte, an ihrem/seinem Kommen zu arbeiten. Weil sie/er das will. Für alle!

Von: Hans Strub

16. Februar

Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug
dem Unvermögenden.
Jesaja 40,29

Ab diesem Kapitel des Jesajabuchs beginnt offensichtlich eine spätere Weiterführung in Jesajas Namen. Sie ist durchzogen von einem ganz anderen Grundton: Jetzt wird dem kürzlich aus dem babylonischen Exil zurückgekehrten Volk eine Zukunft unter Gottes Schutz und Begleitung zugesagt. Nicht mehr stehen Ermüdung und Abwendung von Gott im Fokus, sondern die Kraft, die ihm neu geschenkt ist, eine neue Stärke, die es ihm möglich macht, Gottes Güte und unbedingte Zuwendung wahrzunehmen.
Viele von uns heute kennen das: ausgelaugt und müde zu sein, sich einer Sache nicht gewachsen zu fühlen. Die einen sehnen sich nach Zuwendung, die andern vermögen sie kaum zu erkennen und ebenso wenig zu schätzen. Aber wie auch immer – der (hier namenslose) Prophet bringt Gottes Wort zum Volk: Ihr könnt auf Gott vertrauen, er steht zu euch. Ihr könnt einen neuen Anfang eurer Beziehung zu ihm starten, Gott ist bereit dafür und will sich ohne jeden Zweifel an eure Seite stellen. «Der Fülle an Kraft wegen, und weil er vor Kraft strotzt, geht kein Einziger verloren. (…) Er ermattet nicht und wird nicht müde, seine Einsicht ist unerforschlich.» (Verse 27–28) Diese Worte gehen dem heutigen Vers unmittelbar voraus; sie zeigen in unmissverständlicher Deutlichkeit, dass Gottes Liebe nicht nur generell gilt, sondern jeder und jedem! Immer.

Von: Hans Strub

Mittelteil Januar / Februar

Gedanken zur Jahreslosung von Hans Strub

Prüft alles und behaltet das Gute! 1. Thessalonicherbrief 5,21

«Heb der Sorg! Und bhüeti Gott!» So sagte meine Grossmutter
oft beim Abschied. Die vertrauten Wünsche taten
gut. Aber je älter ich wurde, desto weniger verstand ich, was
damit gemeint sein sollte. Anders als im «Behüte dich Gott»,
mit dem ich dem Schutz einer anderen, höheren Instanz
anbefohlen wurde, erhielt ich mit dem ersten Satz einen,
wie mir schien, unmöglichen Auftrag: Was war eigentlich
gemeint? Wie könnte ich das selber bewirken für mich? Es
dauerte einige Zeit, bis ich merkte, dass mir damit nicht nur
Verantwortung für mein eigenes Leben übertragen, sondern
auch die Freiheit zugesagt wurde, mit ihm zu machen, was
mir geeignet oder tauglich schien für meine Gegenwart und
Zukunft. Ich bin zugleich schutzbedürftig und selbstverantwortlich.
Ich darf mit Gottes Behütung rechnen, und ich
darf, nein, ich muss! auch für mich selbst sorgen.

Die Quelle
Am Ende des ältesten überlieferten Paulusbriefs (und damit
des ältesten Textes im Neuen Testament!) stehen vor den
Grussworten einige knappste Sätze, die sich wie eine Zusammenfassung
von Verhaltensweisen lesen, die sich aus dem
neuen Glauben ergeben, der im Leben, in den Handlungen
und den Worten des Jesus von Nazareth gründet. Von ihm
Mittelteil
ist Paulus bekehrt worden – nun wird aus dem Bekehrten
der leidenschaftliche Verkünder seiner Taten und Reden. An
die kürzlich gegründete Gemeinde in Saloniki (Griechenland)
schreibt er:
«Freut euch immer, hört nicht auf zu beten, sagt Dank in
jeder Lage, denn dies will Gott von euch in Christus Jesus.
Löscht die Geistkraft nicht aus, verachtet Prophezeiungen
nicht, doch prüft alles und behaltet das Gute. Haltet euch
vom Bösen fern, wie auch immer es aussieht!» (Übersetzung
aus «Bibel in gerechter Sprache» und «Basisbibel»)


Das Gute
Das Gute (griechisch: to kalón) meint das, was für mich
taugt, was meinem Leben gleichzeitig Boden und Zukunft
geben kann. Was zu mir passt, für mich also geeignet ist, gut
ist für das Eigene, was meiner äusseren und inneren Lebensform
entspricht, was meine «persona» (so, wie ich bin im
umfassenden Sinn) unterstützt und fördert. Das also, was
ich brauche, um so zu leben, wie es in mir angelegt ist und
wie ich es mir angeeignet und damit zu einem integralen,
unablösbaren Teil meines Selbst gemacht habe.


Prüfen
Das kommt mir aber nicht automatisch zu, von selbst, von
aussen oder vom Himmel geschickt, sondern da werde ich
nun eingeladen (oder noch mehr: aufgefordert, gar herausgefordert),
alles, was um mich ist, was auf mich zukommt,
was mir attraktiv erscheint, was mich begeistert … genau
anzuschauen, zu erwägen, eben zu «prüfen» (griechisch:
dokimázete). Also nicht spontan, ohne nachzudenken etwas
nehmen und mir zu eigen machen, mich etwas hinzugeben,
für das ich später Begründungen finden muss, die mir selber
nicht mehr klar werden, zum Beispiel einer Sache, einer verlockenden
Aufgabe, einer politischen Idee oder einer auf den
ersten Blick schlüssigen Theorie. Das «Prüfen» ist zweifellos
ein wichtiger Vorgang, aber auch ein oft zu schwerfälliger,
der mich geradezu am Leben hindert.


Behalten
Da kommt mir das andere Verb im kurzen Satz entgegen:
«behaltet» (griechisch: katéchete). Es hat für mich einen liebevollen,
entgegenkommenden, entlastenden Oberton: Haltet
das, was sich beim Prüfen als Ergebnis ergeben hat, erst
einmal fest – und testet es aus. Beobachtet genau, wie es bei
euch und in euch, auf euch und durch euch wirkt. Nehmt es
als vorläufige Orientierung und schaut, ob es wirklich taugt.
Seid dabei aufmerksam und selbstkritisch und seid ehrlich
bereit, allfällige Unstimmigkeiten, Ungenauigkeiten festzustellen
und zu verändern (im Unterricht in Chemie und
Physik habe ich gelernt, dass das Experiment immer recht
hat!). Das bedeutet dann halt, den ganzen Prozess erneut
zu starten und durchzuziehen, auch wenn’s mühsam ist …

Für alle
Ein Weiteres kommt hinzu: Erst im letzten Abschnitt habe
ich das Briefzitat wirklich wörtlich genommen: Es ist im
Plural geschrieben und an die junge Gemeinde in Thessalonich
gerichtet. Es passt durchaus auch auf jede/jeden Einzelnen,
aber hier spricht Paulus ganz klar von «ihr/euch».
Das heisst, dass der beschriebene Prüfprozess als Gemeinde,
als Gemeinschaft durchlaufen werden soll – die gewählten
Verbformen sind eindeutige Imperative und meinen, dass
das zu einer Gemeinde in der Nachfolge Christi gehört.
Fast alle Anweisungen im Alten und im Neuen Testament
sind im Plural formuliert, zentrale Beispiele sind die Zehn
Gebote oder das Unservater. Der Glaube, von dem die ganze
Bibel spricht, ist kein individualistischer, sondern er ist auf
die Gemeinschaft der Glaubenden gerichtet. Und darüber
hinaus letztlich auf alle anderen und auf die ganze Welt.
Wenn in der Jahreslosung vom Prüfen und Behalten die
Rede ist, dann geht das also weit über das Persönliche hinaus;
es ist eingeschlossen und mitgemeint, aber die Anforderungen
und Herausforderungen erschöpfen sich nicht darin. Sie
betreffen das Leben aller Menschen (im ersten Testament
steht dafür sehr oft der Begriff «Volk»), wo immer sie auch
sind, was immer sie auch beschäftigt, wo immer auch Armut
herrscht oder Ungerechtigkeit oder Krieg. Das ist immer
etwas, das die ganze Gemeinde betrifft.


Für heute
Oder für heute übersetzt: alle Kirchen und Gemeinschaften
von Menschen, die ganze Politik. Es gibt keine Bereiche, die
nur bestimmte Gruppen etwas angehen. Im «ihr/euch» sind
immer alle dabei. Hunger oder Krieg gehen alle etwas an.
Und alle sind aufgerufen, hier das Rechte zu tun!
Politisches Denken ist den Glaubenden genauso aufgetragen
wie diakonisches Handeln gegenüber den Schwachen
der ganzen Gesellschaft.


Wünsche
«Heb der Sorg! Und bhüeti Gott!»
Die eingangs wiedergegebenen Wünsche auf den Weg sind
zwar individuell adressiert, aber eigentlich stehen sie in
einem viel weiteren Rahmen.
«Hebed euch Sorg!» und «Bhüet euch Gott!»
So betreffen die Wünsche den Weg der ganzen Gesellschaft
dieser Welt. Uns allen ist Gottes Schutz zugesagt, uns allen
kommt die Aufgabe zu, zu prüfen, was für alle jetzt gut und
tauglich ist, damit die Welt eine gute Zukunft hat!
Auf ein gutes Jahr!

Von: Hans Strub

17. Januar

Eines jeden Wege liegen offen vor dem HERRN. Sprüche 5,21

«Gott sieht alles von dir!» war ein gern gebrauchter Spruch meiner verehrten Grossmutter. Das ängstigte den kleinen Buben nicht etwa, sondern es schien ihm völlig normal; so wurde ihm von Gott erzählt. In Vers 23 wird in diesem Zusammenhang von fehlender Unterweisung gesprochen, was ein lebensbedrohlicher Mangel sei. Denn um einen alle menschlichen Vorstellungen übersteigenden Gott zu wissen, sei notwendig für einen guten und «richtigen» Lebenswandel. Dazu gehört, wie in den vorangegangenen Versen eindrücklich mit dem Bild vom Fremdgehen (Verse 1–20) illustriert wird, den eigenen Wurzeln und den Quellen der eigenen Kultur treu zu bleiben. Also konkret dem lebendigen Gott, dem Schöpfer allen Lebens. Und dem, welcher über jeden Lebensweg wacht. Nicht mein individuelles Fehlverhalten soll sanktioniert werden: Gott will nicht, dass ich mich an untauglichen Lebenslehren orientiere oder an vermeintlich attraktiven Gottheiten zugrunde gehe. Dadurch, dass Gott jeden Lebensweg kennt, wird keine Drohung aufgerichtet, sondern Gottes Sorge um jedes Menschenleben zum Ausdruck gebracht. Lasst euch nicht verführen von irgendwelchen Weisheiten! Kümmert euch vielmehr, Gottes Weisheit zu erfahren und diese Erkenntnis für eine Lebensgestaltung zu nutzen, die seit ewig gültig ist! So auch für mich und dich und euch! Darin besteht die lebensspendende Unterweisung (Vers 23).

Von: Hans Strub