Simeon sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener
in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine
Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil,
das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht
zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines
Volkes Israel. Lukas 2, 29–32

Simeon hatte zuvor auf diesen Trost Israels gewartet, so
sehr und so lange, dass es ausdrücklich überliefert wird. Er
muss ein echter Meister des Wartens gewesen sein, hat es
wohl früh gelernt und lange geübt. Aber ist das ein Leben,
wenn man nur wartet? Timo Reuter, Journalist und Autor,
ist ein später Nachfahre von Simeon und antwortet darauf
mit einem entschiedenen Ja. Nach eigenem Bekunden
wartet er gern, zum Beispiel auf Reisen, und findet, Warten
sei sogar eine Kunst, die wir heutzutage nur verlernt
haben. Er schreibt: «Dem Warten wohnt ein wenig beachtetes,
aber grosses Potenzial inne. Es ist eine vielfältige und
stille Kraft, die Übergänge schafft. Es verbindet uns mit dem
Leben – und als Schmiermittel sozialer Beziehungen auch
mit anderen Menschen.» Er beschreibt das Glück, das sich
in ungeplanten Zeitnischen einnistet, und die unfassbaren
Möglichkeiten, die aus Zwischenzeiten folgen. Simeon spürt
nun, dass seine Lebenszeit zugleich mit dem Warten zu Ende
geht. Aber alles hat sich für ihn erfüllt: Sein Warten war nicht
vergeblich. Seine Erwartungen wurden sogar übertroffen.
Vor allem aber hat er hoffnungsvoll gelebt. Was will man
also mehr? Wartezeiten!

Von: Dörte Gebhard