Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zuschanden. Psalm 119,6

Ganz einfach. Die Gebote halten, dann geht es mir gut.
Nur: welche Gebote denn? Die 613 Gebote der Tora, die uns
teils durchaus sinnvoll vorkommen, teils aber sonderbar bis
grausam? So genannte «christliche Kreise» berufen sich ja
gerne auf biblische Gebote und Verbote, aber sie tun das
höchst selektiv. Eine Religion der buchstäblichen Gehorsamkeit
funktioniert nicht und führt nicht zu mehr, sondern zu
weniger Menschlichkeit und Lebensqualität.
Wieder ganz einfach: Jesus hat bekanntlich auf die Frage
nach dem höchsten Gebot mit dem Liebesgebot geantwortet.
Das hat er nicht neu erfunden, sondern ebenfalls aus der
jüdischen Tradition zitiert. Schon da gibt es also eine Hierarchie
der Normen, und Jesus hat diese in der Auseinandersetzung
mit seinen gesetzeskundigen Zeitgenossen radikalisiert.
Daraus ergibt sich das unvermeidliche Misstrauen gegen alle
ethischen und moralischen Normen, die sich nicht aus dem
Liebesgebot ableiten lassen.
Noch einmal ganz einfach hat es Augustinus gesagt: «Dilige
et quod vis fac.» Meist übersetzt man: «Liebe und tu, was
du willst.» In «dilige» steckt noch etwas mehr, nämlich die
Achtung, das Hochschätzen. Aus diesem gefüllten Begriff der
Liebe kommt ein Wollen, das nur das Gute zum Ziel haben
kann, das niemanden zuschanden werden lässt.

Von: Andreas Marti