Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich
und gibst meiner Seele grosse Kraft.
Psalm 138, 3

Gott wird gerne angerufen. Immer wieder fordert er uns in den Psalmen auf, nicht unbedingt zum Hörer oder Handy zu greifen, aber doch irgendwie in Kontakt zu treten. (Psalm 50,15
die Telefonnummer Gottes: «Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.») Der Mensch, der Psalm 138 gebetet hat, weiss um die Konsequenzen. Er hat erfahren, dass Gott hört. Leider verrät er uns nicht, woran er das gemerkt hat. Vielleicht ist das aber auch gar nicht wichtig. Er hat ja die Folgen gespürt. Die grosse Kraft, die ihn erfüllt. Die Seele, die wieder mutig wird. Die Hoffnung, die keimt.


Die Psalmen sind religiös inspirierte Dichtung. Ihre Anfänge reichen mindestens drei Jahrtausende zurück. Dank ihren starken Sprachbildern und die in ihnen verdichteten Glaubenserfahrungen können sie mir Kraft, Trost, meiner Wut und Enttäuschung Raum, meiner Unsicherheit und meinem Zweifel Boden geben. Die Psalmen können mir helfen, «aus der Tiefe» Worte in den Himmel hinaufzuschicken. Die chassidische Tradition hat dieses Geheimnis in dem Ausruf zusammengefasst: «Verlasst euch nicht auf Wunder, rezitiert Psalmen!» Denen, die Psalmen rezitieren, geschieht, dass sie sich Gott aussetzen.

Von: Chatrina Gaudenz / Lars Syring