Bei Gott ist Kraft und Einsicht. Sein ist, der da irrt
und der irreführt.
Hiob 12,16

Die Losung ist unverständlich ohne Kontext. Und der hat es in sich. Hiob macht nämlich kurzen Prozess mit der Weisheit. Er rechnet nicht nur mit «Klugscheissern» ab. Seine Kritik geht tiefer, ist radikaler. In der literarischen Gestalt des Hiob geht es um das Rätsel der leidvollen menschlichen Existenz und das Elend der landlosen Existenz Israels. Er spricht für alle, die das Unglück trifft: Kein Mensch kann verstehen, kein Sterblicher durchschauen, was abgeht. Und wer an Gott festhält, prallt auf eine Weisheit und ein Regiment, das im Dunkeln lässt. Denn «er führt die Priester barfuss davon und bringt zu Fall die alten Geschlechter. Er entzieht die Sprache den Verlässlichen und nimmt weg den Verstand der Alten. Er schüttet Verachtung auf die Fürsten und zieht den Gewaltigen die Rüstung aus. Er öffnet die finstern Schluchten und bringt heraus das Dunkel ans Licht.» (Hiob 12,20–23) Das unverschuldete Leid lässt Hiob so reden. Und sein Leid ist symbolisch für das Leid ganzer Nationen. «Er macht Völker gross und bringt sie wieder um; er breitet ein Volk aus und treibt’s wieder weg.»
Sind wir klüger als Hiob? Oder mit unserer Weisheit auch am Ende? Ziemlich düster, ich gebe es zu. Das einzige Erhellende, das mir dazu einfällt, ist ein Text von Frère Roger: «Jésus le Christ, lumière intérieure, ne laisse pas mes ténèbres me parler!»

Von: Ralph Kunz