Du hast den Menschen zum Herrn gemacht über deiner
Hände Werk, alles hast du unter seine Füsse getan.
Psalm 8,7
Die Vorstellung, dass der Mensch Herr über die Natur sei,
ist angesichts von Ausbeutung und Naturzerstörung mehr
als fragwürdig geworden. Auf den ersten Blick müssten wir
diesen Psalmvers umweltgerecht «entsorgen».
Der reformierte Theologe Wilhelm Vischer hat Psalm 8
zu einem Lied umgedichtet und dabei die Richtung gezeigt,
wie diese Worte zu verstehen sind. Es ist das Psalmlied «Wie
herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennen» (RG 7, EG 271).
Schlüsselvers ist die dritte Zeile von Strophe 6: «Statt
Herr ist er der Sklave der Natur.» Das lässt an die altbekannte
Dialektik von Herr und Knecht denken, in welcher
der Herr abhängig vom Knecht wird. Die Geschichte zeigt
es ja: Je mehr die Menschheit sich die Natur unterwirft und
zu Diensten macht, desto verletzlicher werden Zivilisationen
und Technologien.
Vischers Lied denkt in den Schlussstrophen den Psalm
christologisch weiter, mit Worten des Christushymnus aus
dem Philipperbrief. Christus ist der «wahre Menschensohn
», der sich selbst bis in den Tod erniedrigt, das Bild des
Menschen nach Gottes Willen. Seine Herrschaft ist nicht
die überlegene Dominanz der Allmacht. Sie geschieht in
Geschwisterlichkeit, in Solidarität mit den Leidenden. Christus
nachfolgen heisst, seine Weise der Herrschaft zu übernehmen,
«zur Ehre des Vaters».
Von: Andreas Marti
