HERR, wer ist wie du? Mächtig bist du, HERR, und deine Treue ist um dich her. Psalm 89,9

Stellt der Psalmist eine rhetorische Frage? Es ist wohl eher eine Anrufung, die den Respekt bezeugt. Die Antwort: Niemand ist wie Gott. Denn Gott wäre nicht Gott, wenn ihm ein anderes «Wer» zur Seite gestellt werden könnte. Gott ist fraglos anders als alle anderen Mächte, die man anrufen kann. Der Beter könnte also mit dem Bekenntnis fortfahren:
«Allmächtig bist du.» Er hätte dann die unvergleichliche Himmelsmacht in den Rang erhoben, die ihr zusteht. Sie ist es, die alle anderen Mächte bodigt.

Aber ist «Allmacht» ein Name Gottes? Das ist keine rhetorische Frage. Die Anrufung «Allmächtiger» finde ich fragwürdig. Nicht dass ich an der göttlichen Macht zweifeln würde. Mir sind eher die menschlichen Allmachtsfantasien nicht ganz geheuer. Im Gebetsbuch Israels taucht jedenfalls kein total anderer Gott auf, der über ungeheure Macht verfügt. Der Beter bringt dies indirekt zum Ausdruck. Er nennt die Gottheit mächtig, indem er sie anspricht. Er getraut sich, sie anzurufen, als ob sie es genösse, sein Lob und seine Verehrung zu spüren. Allgewaltige Herrscher können auf echtes Lob verzichten. Sie dulden nur totale Unterwerfung. Unser Beter, der Gott Macht zuspricht, fühlt sich zum Lob ermächtigt. Warum? Das ist definitiv eine rhetorische Frage! Weil einer, der so betet, sich voll und ganz auf Gottes Treue verlässt.

Von Ralph Kunz