Monat: Juli 2022

31. Juli

Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist  nahe; denn es ist hier kein Helfer.                       Psalm 22,12

Ich bin ein ängstlicher Mensch. Mein Herz klopft automatisch schneller, wenn ich irgendwo im Haus ein unbekanntes Geräusch wahrnehme. Die Angst kommt unangemeldet und ungebeten. Ich vermute, dass sie ein Überbleibsel der vielen Bombennächte ist, denen ich als Kleinkind im kriegsgebeutelten Berlin ausgesetzt war.

Das Fiese an der Angst: Sie ist ein schnelles Gefühl, das mich einfach überfällt. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen, und so habe ich begonnen, Strategien gegen die Angst zu sammeln.

Die bei Weitem effektivste und auch am einfachsten anwendbare ist: das Gebet! In der spirituellen Praxis der Christinnen und Christen spielt es eine herausragende Rolle. Es kommt als Dank- und Bittgebet, als Lobpreis, aber auch als Stossgebet, als inniger Austausch, als Gebet ohne Worte, in dem wir uns immer mehr Gottes Führung überlassen.

Wenn ich bete, werde ich meistens ruhig. Oder zumindest ruhiger. Dann schwindet das verzweifelte Gefühl, dass ich alleingelassen bin und kein Helfer, keine Helferin in Sicht ist. Ich glaube, ich bin nie allein, aber oft verstelle ich mir selbst die Sicht auf Gottes helfende Hand, auf die Botschaft die Gott uns, mir, senden will. Die versteckt sich nicht im Knarren im Gebälk, sondern in der Begegnung mit der Lebendigen und ihrer lebendig machenden Liebe.

Von Reinhild Traitler

30. Juli

Jesus sprach zu Pilatus: Ich bin dazu geboren  und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine  Stimme. Johannes 18,37

Meistens verwechseln wir das Wahre mit dem Richtigen. Das Wort «richtig» hängt ja mit dem Recht zusammen. Das Recht ist ein hohes Gut und wir dürfen es nicht kleinreden.

Aber das Wahre zielt in eine andere Richtung. Vielleicht könnte man sagen, es sucht die innere Entsprechung eines äusseren Geschehens. Jesus wirkt Wunder, heilt Kranke und schenkt Lahmen das, was sie sich schon immer gewünscht haben, das Gehen, Hüpfen, Laufen, das Schweben und Schreiten!

Ich habe früher oft ethnische Tänze getanzt und habe immer diesen magischen Moment geliebt, wo es begann, in mir zu tanzen. Die Schritte kamen von selbst, und jede Bewegung versetzte mich in Euphorie, auch wenn mein Tanzen einem Ballett wahrlich keine Ehre gemacht hätte. Aber es gab diese Augenblicke der Übereinstimmung, die Schritte erzählten meine Geschichte auf eine ganz andere Art, mein ganzer Körper war plötzlich ein Instrument, das Musik spielte, seine eigene Musik.

Wahrheit: eine grösstmögliche Annäherung an das in uns schlummernde Urbild, das göttliche Bild.

Von Reinhild Traitler

29. Juli

Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht am Morgen, das immer heller leuchtet bis zum vollen Tag. Sprüche 4,18

Eine glanzvolle Laufbahn ist den «Gerechten» verheissen. Sie sind Vorbilder in der Tradition der biblischen Weisheitsschriften. Der Gerechte geht den Weg der Tora in Freude und Treue, sie ist ihm Orientierung, ja Lebenssinn. Was die Bibel als eine Lichtgestalt darstellt, kommt mir eher verdächtig vor: Sind das nicht Blender? Religiöse Streber? Selbstgerechte, die glauben, keine Fehler zu machen?

Selbstgerechte, das sind die, die wissen, dass sie auf der richtigen Seite sind. Wie ich das ja auch weiss. Aber Ironie beiseite: Mir ist es unheimlich, dass das jetzt plötzlich keine Gültigkeit mehr haben soll, was ich seit meiner Kindheit gelernt habe, manchmal durch Beschämungen und Blamagen. Nämlich, dass ich in Konflikten die Frage nach den Erfahrungen und Gründen der Gegenseite stelle und zu verstehen versuche. Das bedeutet nicht unendliche Verständnisbereitschaft, auch nicht, dass es keine Kriterien für «gerechte Gerechtigkeit» gibt. Ich empöre mich über das Unrecht, das in der Ukraine geschieht – und gleichzeitig ist mir die gegenwärtige allgemeine Einigkeit über Gute und Böse suspekt.

Wo ist da der Weg von Gottes Gerechtigkeit, der herauszuführen vermag aus Gewalt und Gegengewalt, hin zu Verzeihung und Versöhnung?

Von Käthi Koenig

28. Juli

Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade.       Jona 2,9

Ganz unten ist er, noch tiefer als tief. Im Bauch eines Fisches tief unten im Meer.

Ganz unten ist er und doch gerade dort gerettet. Vor den Wellen, dem Untergang, dem Ersticken, vor sich selbst.

Und das weiss er auch.

Eigentlich hatte er es sich ganz anders vorgestellt. Wollte einfach mal «nein» sagen. «Vielen Dank, lieber Gott, aber diesen Job nehme ich mal nicht an. Man muss ja nicht immer ‹hier› schreien.» Ich kann ihn gut verstehen.

Aber in dieser Hinsicht lässt Gott nicht mit sich handeln, das merkt auch Jona ganz schön schnell und ganz schön tief. Ganz unten im Bauch des Fisches betet er. Und es wird ihm klar, dass er sich nicht mehr an das Nichtige halten will. Denn Gott eine Absage zu erteilen, heisst gleichzeitig, sich von der Gnade abzukapseln, sich die Lebensader   förmlich selber abzudrücken.

«Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem Herrn.» So endet sein Gebet – und der Fisch spuckt ihn aus.

Ein neues Leben – ein ganz neuer Jona? Ja und nein, ja,   er nimmt den Job und seinen Gott ernst und doch fällt es ihm auch schwer und er fällt immer wieder auch hinter sich zurück. Ich kann ihn gut verstehen. Vielleicht sollte ich die Tageslosung heute zur Erinnerung personalisieren:

Wenn ich mich an das Nichtige halte, verlasse ich meine Gnade.

Von Sigrun Welke-Holtmann

27. Juli

Einer unter den Aussätzigen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein  Angesicht zu Jesu Füssen und dankte ihm.                  Lukas 17,15-16

Einer von zehn und dann auch noch ein Fremder! Einer, der nicht von hier und nicht einer von uns ist – einer, der nicht dazugehört.

Und der? Der macht auch noch alles richtig!

Er wendet sich in seiner Not an Jesus – o. k., das hat er sich sicherlich von den anderen neun abgeschaut. Wie er sieht, dass er geheilt ist, läuft er aber nicht den anderen hinterher, sondern dreht einfach um. Macht auf dem Absatz kehrt und kann gar nicht mehr an sich halten.

Die anderen werden den Kopf geschüttelt haben. «Jetzt ist er übergeschnappt.» «Das gehört sich echt nicht!»

Aber das stört ihn nicht. Für ihn hat sich etwas erschlossen, aufgeschlossen. Eine Erkenntnis, die sein Leben verändert, aus der Bahn geworfen hat. Und er hat den Zusammenhang nicht nur erkannt, sondern ist auch bereit, sein Leben darauf einzustellen – umzustellen. Egal, wo er herkommt. Er dreht um, auch wenn neun andere – also die grosse Mehrheit, die meinungsbestimmende Masse – in die andere Richtung läuft und sich sicher ist, dass das die richtige Richtung ist. Er weiss jetzt, wo er dazugehört.

Manchmal hätte ich gerne den Mut dieses Fremden.

Von Sigrun Welke-Holtmann

26. Juli

Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist!   Jesaja 12,4

Als das fromme Gretchen dem Dr. Faust die berühmte Frage nach der Religion stellt, gibt dieser die ausweichende Antwort: «Nenn es dann, wie du willst, nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür! Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut.»

Ist der Name, die genaue Bezeichnung für Gott und Glaube, unwichtig, «Schall und Rauch»?

Anders sieht es das Märchen «Rumpelstilzchen», wo die Müllerstochter innerhalb von drei Tagen den Namen des Männchens herausfinden muss, das ihr geholfen hat. Als ihr dies gelingt, kann sie mit dem Aussprechen des Namens das grausame Versprechen aufheben, ihm ihr erstes Kind zu geben. Denn im Namen liegt ein grosses Potential.

Auch Gott enthüllt in seinem Namen sein Wesen. In seinem Namen lässt Gott sich von seinem Volk finden und bindet sich an den Rufer. Daher soll der Name nicht missbraucht werden. Dennoch: Der Name «Ich bin, der ich bin» ist eine Aussage, die die Auskunft über Gottes Sein verweigert. Wer Gott wirklich ist, wird man an seinem Tun erkennen.

Was sind eigentlich Gottes Werke an mir und in mir, die ich anderen kundtun soll? Wo hat Gott mich verändert?

Gottes Sein und mit ihm auch mein Sein sind im Werden.

Von Barbra Heyse-Schaefer

25. Juli

Die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!                                          Lukas 17,5

Stärke uns den Glauben,

dass es nicht um Dogmen geht,

nicht um das Fürwahrhalten v

on Ereignissen, die den

Naturgesetzen und der Vernunft

offensichtlich widersprechen,

dass es nicht um das Jenseits

geht, sondern um das Leben

im Diesseits, hier und jetzt

auf diesem fragilen Planeten,

auf dem einige wieder einmal

in Gedanken den Atomkrieg

durchspielen, bis zum bitteren Ende.

Stärke uns den Glauben

an andere Gedankenspiele,

in denen es um Frieden

und Versöhnung geht

und um Gerechtigkeit,

an Visionen vom guten Willen

der allermeisten Menschen.

Stärke uns den Glauben

an die Liebe, die – wider alle Vernunft –

Hass und Angst überwindet.

Stärke uns den Glauben.

Von Heidi Berner

24. Juli

Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben  mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum  wird sie fest bleiben.        Psalm 46,5–6

Lustig – so nehme ich an,

ist kein Wort, das häufig

im Buch der Bücher auftritt.

Zusammen mit den Brünnlein

ergibt sich eine heitere Note,

die mich richtig fröhlich stimmt.

Aber, o Schreck –

in anderen Versionen der Verse

ist nichts mit Brünnlein,

nichts mit fein lustig.

Wie schön also, dass gerade

diese Übersetzung

in den Losungen steht!

Wie sehr braucht die Welt

gerade jetzt freundliche Orte,

wo Brünnlein sprudeln, wo

diese Lebenskraft, die

wir Gott nennen, wohnt.

Wie sehr wünsche ich mir,

dass sie auch dort einzieht,

wo fertig lustig ist.

Ja – dort erst recht.

Von Heidi Berner

23. Juli

Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht;  denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.  Josua 1,9

Hollywood hat in den letzten Jahren einige apokalyptische Filme in die Kinos gebracht. Eine Szene gehört dazu: Vor der Endzeitschlacht sammelt der Präsident oder General (meistens ein weisser Mann) seine Truppen und spricht ein Wort der Ermutigung. Dann geht’s in den Kampf. Natürlich siegen die Guten. Die Rede ist wichtig. Sie appelliert an den Mut und die Entschlossenheit, erinnert an vergangene Siege und macht Hoffnung, die Schlacht zu gewinnen.

Das erste Kapitel in Josua passt in dieses Schema. Josua übernimmt die Stafette: Moses ist gestorben, Israel steht am Jordan, das gelobte Land ist in Sicht. Auch in säkularen Ermutigungspredigten läuft es darauf hinaus, dass man sich «nicht graut und entsetzt». Josua nennt aber einen Grund dafür: «Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst.» Der Führer Israels verspricht, dass Gott ein «Im-anu-El», auf Deutsch ein «Mit-uns-Gott» ist. Gott war in Ägypten, am Schilfmeer und wird den Israeliten auch bei der Landnahme beistehen.

Was im Blockbuster Heldentum ist, hat in der Rede von Josua eine Glaubensdimension. Es hört sich ähnlich an und ist doch etwas anderes. Vielleicht ist das die Tragödie des biblischen Storytellings? Dass es so überzeugend ist und von weltlichen, imperialen und kolonialen Herrschaften   gerne kopiert wird.

Von Ralph Kunz

22. Juli

Gelobet sei der HERR, der seinem Volk Israel Ruhe gegeben hat, wie er es zugesagt hat.     1. Könige 8,56

Ein paar Flugstunden von hier tobt der Krieg. Ich schreibe diesen Text am 30. April und hoffe, es herrsche in drei Monaten (wenigstens) Waffenruhe. Ich muss daran denken, wenn ich die Losung lese. Zu gross ist der Kontrast zum Tempelweihgebet des Salomo.

In der Geschichte Israels steht die Einweihung des ersten Tempels (ca. 1000 v. Chr.) am Anfang einer rund vierhundertjährigen Blütezeit. Im Windschatten der lokalen Grossmächte konnte Israel dank Davids militärischer Erfolge seine Macht festigen. «Ruhe» hat in erster Linie die Bedeutung von Frieden. Aber das Wort meint mehr als allein die Abwesenheit von Krieg. Hier wird eine Art «Landeskirche» eingerichtet. Im Gebet übernimmt der König eine priesterliche Funktion. Salomon segnet die Gemeinde und installiert gewissermassen eine ständige Leitung zwischen Tempel und Himmel. Was unten gebetet wird, soll oben gehört werden. Wenn man vom Exodus her bis zu dieser feierlichen Einweihung liest, entsteht tatsächlich der Eindruck, dass die Israeliten endlich zur Ruhe gekommen sind. Allerdings sollte sie nicht ewig dauern. Zweihundert Jahre später holten sich die Syrier das Nordreich zurück. Aber wie wertvoll waren diese Jahre! Muss einem der Krieg auf den Leib rücken, um für einen 80-jährigen Frieden dankbar zu sein? Merken wir erst bei einer schweren Krankheit, welches Geschenk die Gesundheit ist?

Von Ralph Kunz