Der Israel zerstreut hat, der wird’s auch wieder sammeln
und wird es hüten wie ein Hirte seine Herde.
Jeremia 31,10

Das Verhältnis von Gott und seinem Volk ist Dauerbrenner im Buch der Bücher, eine regelrechte Beziehungskiste, in der man nur kurz wühlen muss, um reichlich Stoff für eine Familientherapie zu finden. Schon nach dem Honeymoon in Ägypten kam die erste Krise in der Wüste. Die Israeliten maulten, weil sie den Gulasch-Service ihrer alten Herren vermissten und das Manna nicht ihren Ansprüchen genügte. Am Berg Sinai kam es beinahe zu einer Katastrophe. Als Moses die Gebote empfing, wurde das Fussvolk untreu. Statt auf Gott zu hören, tanzten sie lieber um ein Kalb aus Gold. Wieso waren sie so starrköpfig? Warum versagte die göttliche Pädagogik? Gott war ausser sich, aber liess sich noch einmal von Mose besänftigen.

Viele weitere Krisen folgten, bis es nicht mehr ging. Gott resignierte und Israel machte die verstörende Erfahrung der Diaspora. Es war eine Verzweiflungstat Jahwes. «Er hat sein Volk zerstreut» bedeutet eigentlich, dass er es zerstört hat. Oder doch nicht? Ist da noch ein Funke Hoffnung? Lässt sich eine derart zerrüttete Beziehung noch retten? Jeremia darf in Gottes Namen einen Lichtblick wagen. Sein Heilsorakel verspricht einen Neuanfang. Gott macht eine Kehrtwende, will alle mit dem Feuer der Liebe einsammeln, die er in seiner Weissglut vertrieben hat, und ist damit noch lange nicht fertig …
Von Ralph Kunz